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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt
Autoren: Robert Tibber
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zwischen den Lippen.
    »Ach, gut, daß Sie kommen, Herr Doktor«, begrüßte sie mich, warf ihr blondes Haar mit einem Ruck ihres Kopfes zurück und ging mir voran ins Vorderzimmer. Ich war überrascht von dem netten, sauberen Anblick der kleinen Wohnung.
    Auf der Couch der Stube saßen zwei Kinder, ein sechsjähriger Junge mit mehreren Zahnlücken und ein etwa zwei Jahre jüngeres kleines Mädchen. Sie sahen sich ein Bilderbuch an, und um sie herum lagen verschiedene farbige Heftchen. Mrs. Grimshaw stellte sich neben den Jungen und gab ihm einen leichten Klaps.
    »Mach, daß du ’rauskommst«, sagte sie. »Der Herr Doktor will sich die Maureen ansehn.«
    »Aber ich möcht’ doch so gern...«, maulte der Kleine zurück, merkte jedoch, daß ihm das mütterliche Auge eine zweite Kopfnuß verhieß. Und so verließ er maulend das Zimmer.
    Maureen stand auf, trat dicht an mich heran, hob ihr Röckchen hoch und ließ die Hosen herunter. Ich hockte mich hin, um mir die Flecken auf ihrem Bauch zu besehen.
    Als ich mich wieder aufrichtete, meinte ich: »Sie hat Windpocken, Mrs. Grimshaw.«
    Die Dame ließ die Zigarettenasche in die hohle Hand fallen, trat ans offene Fenster und warf die Asche hinaus.
    »Weiß ich ja, weiß ich«, sagte sie. »Hat sie von der Brenda gegenüber erwischt. Zieh dich an, Maureen.«
    Während sie dem Kind das Kleid glattstrich, schaute ich aus dem Fenster auf die Eingangstreppe des gegenüberliegenden Häuserblocks. Schüsseln voll Essen standen zum Abkühlen auf den Stufen, Türvorleger wurden ausgeschüttelt, Schüttsteinsiebe in den Abfalleimer ausgeklopft.
    »Eine Tasse Tee, Herr Doktor?« fragte Mrs. Grimshaw.
    »Danke vielmals. Ich habe noch viele Patienten zu besuchen.«
    Ich erklärte ihr, wie sie Maureen zu behandeln habe, schärfte ihr ein, den kleinen Bruder von anderen Kindern fernzuhalten, und zog meinen Rezeptblock heraus, um ihr etwas gegen das Jucken des Ausschlags zu verschreiben.
    Ich setzte »Mrs. Grimshaw« über das Rezept und war gerade halbwegs mit »Lotio Calamini« fertig, als meine Füllfeder spritzte und keine Tinte mehr hergab. Schon wollte ich mich ärgerlich umdrehen und »Schwester!« rufen, als ich Mrs. Grimshaw gewahrte und mich entsann, daß ich nicht mehr im Krankenhaus mit seinen hilfreichen Schwestern war, die mir stets bereitwillig die Füllfeder frisch füllten, meine Knöpfe annähten und mir stärkenden Tee brachten, wenn ich es nötig hatte. Mrs. Grimshaw brauchte zehn Minuten, um ein Löschblatt sowie eine Flasche zu finden, die einen winzigen Rest violetter Tinte enthielt. Sie sagte mir, die hätte sie nur zufällig da, weil ihr Mann im Gefängnis sei und sie es von der Nachbarin geliehen habe, um ihm zu schreiben. Ich war nicht gerade stolz auf das Aussehen meines Rezepts und nahm mir vor, in Zukunft dafür zu sorgen, daß mein Füllhalter nicht leer sei, wenn ich Krankenbesuche machte.
    Maureen war wieder in ihre Heftchen vertieft, und ich griff nach meinem Köfferchen. An der Türe hielt mich Mrs. Grimshaw zurück: »Ach, ich wollte Sie eigentlich noch wegen mir selber was fragen, Herr Doktor...«
    »Ja -?« machte ich, und es klang nicht sehr ermutigend.
    »Ach, ich will’s doch lieber sein lassen«, sagte sie darauf.
    »Nun, Mrs. Grimshaw, falls Sie mich zu konsultieren wünschen, so wissen Sie ja, wo meine Praxis ist.«
    Sie schien überrascht, daß ich nicht versuchte, sie zur Überwindung ihrer Einwände zu überreden. »Also dann guten Morgen, Herr Doktor«, erwiderte sie, »und schön’ Dank.«
    Wie die von Mrs. Littles weitläufiger, aber leserlicher Schrift beschriebene Notiz lautete, litt Mrs. Collins, der mein zweiter Besuch gelten sollte, an »Schmerzen in der Brust«. Sie wohnte in einem großen alten Haus, in dessen Vorgarten eine Araukarie stand. Ein blondes Hausmädchen, eine Schweizerin, wie sich alsbald herausstellte, öffnete mir die Tür.
    »Bitte«, sagte sie und führte mich ins Wohnzimmer. Dort saß eine grauhaarige Frau mittleren Alters vor einer Schreibmaschine und blickte darüber hinweg in den Garten. Bei meinem Eintreten wandte sie den Kopf, sah mich mit freundlichem Lächeln an, schien mich jedoch gleichzeitig mit den Augen abzuschätzen.
    »Sie sind noch ein junger Arzt«, sagte sie, und ihre Worte ließen einen Anflug von kontinentalem Akzent erkennen.
    Ich hatte bereits genug davon, mir Bemerkungen über mein Alter anzuhören. Zwar war mir klar, daß ich vorderhand noch nicht den Eindruck eines typischen,
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