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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt
Autoren: Robert Tibber
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wohlgenährten Hausarztes machte, doch hatte ich immerhin das Staatsexamen mit Auszeichnung bestanden, zwei volle Jahre als Assistent in Spitälern gearbeitet und war also gut ausgebildet.
    Mit ihren ersten Worten hatte mich Mrs. Collins verärgert. So erwiderte ich ihr Lächeln nicht und ließ jene Bemerkung fallen, die alle Patienten, insbesondere Neurotiker, am wenigsten vertragen. Und Mrs. Collins schätzte ich sogleich als Neurotikerin ein. Denn warum in aller Welt war sie nicht in meine Sprechstunde gekommen, wenn sie nur Schmerzen in der Brust hatte und sich im übrigen gesund genug fühlte, um Schreibmaschine zu klappern?
    »Sie sehen blühend aus, wo fehlt’s denn?« sagte ich und stellte mein Köfferchen mit Nachdruck auf den Boden.
    Als ich aufblickte, hatte Mrs. Collins den Kopf auf die Seite gelegt und sah mich nachdenklich an.
    »Ich sterbe an Krebs«, erwiderte sie ruhig. »Lungenkrebs.«
    Ich fand zunächst keine Antwort, hätte mich aber am liebsten selbst geprügelt wegen meines törichten Gehabens.
    Mrs. Collins streckte mir die Hand entgegen. »Kommen Sie«, sagte sie. »Wir wollen Freunde sein und nochmals von vorn anfangen. Es war ungezogen von mir, etwas über Ihr Alter zu bemerken. Ich meinte nichts Schlimmes damit. Es kam nur, weil die Zeit, die Jahre, Wochen, Tage und sogar die Stunden wichtiger geworden sind als bisher.«
    Wir schüttelten einander die Hände, und damit begann eine gute Freundschaft meines ersten, von Unsicherheit geprägten Jahres. Nachdem ich sie untersucht und ihr etwas zur Linderung ihrer Symptome verschrieben hatte, rief Mrs. Collins nach der pausbäckigen kleinen Schweizerin und bat sie, Kaffee zu bringen, ohne auf meinen schwachen Einspruch zu achten.
    Ich war noch nie einer so vernünftigen Frau begegnet, und bestimmt keiner, die ihrem eigenen, unabwendbar bevorstehenden Tod mit solchem Gleichmut entgegensah. Ich fragte sie, wer sie so erbarmungslos über ihren Zustand unterrichtet habe. Die Regel war ja, daß man unter solchen Umständen den Patienten die volle Wahrheit vorenthielt, ihnen bis zuletzt die Hoffnung nicht raubte.
    »Ich wollte gern wissen, wie es mit mir stand«, erklärte sie mir. »Es gibt Dinge, die ich noch zu tun habe, Orte, die ich noch aufsuchen will, solange mir noch Zeit bleibt. Nur mit den Schmerzen hatte ich nicht gerechnet.« Sie schaute wieder auf den Garten hinaus. »Jetzt sitze ich hier und sehe, wie meine Bäume blühen. Manchmal spreche ich mit ihnen. Ich bin eben eine dumme, einfältige Frau, wissen Sie«, fuhr sie mit einem Lächeln fort, »und sage den Bäumen, sie sollten recht lange blühen, langsam Frucht tragen und nicht allzu eilig ihre Blätter abwerfen. Wenn sie kahl im Schnee stehen, werden wir uns wohl trennen müssen.«
    »Sie schreiben?« fragte ich mit einem Blick auf die Stöße von Manuskriptpapier auf dem Schreibtisch.
    Sie zuckte die Achseln. »Kleine Geschichten für Kinder. Ich habe einen Freund, einen Verleger aus meiner Hleimatstadt in der Nähe von Wien. Er ist sehr gut zu mir. Es vertreibt mir die Zeit.«
    Es war nahezu ein Uhr, als ich aufstand, um zu gehen. Wir hatten über Kunst und Literatur gesprochen, über Ärzte und die Hilflosigkeit der Wissenschaft, die noch kein Mittel gegen Krebs gefunden hat. Mit einem Zwinkern in den Augen hatte Mrs. Collins mir auch versprochen, sich nach einer Frau für mich umzusehen. »Es wäre wirklich besser für Sie, wenn Sie heirateten.«
    Bei meinem Fortgehen bat sie mich, wieder zu kommen, sobald meine Zeit es erlaube, und ich versprach ihr, sie nicht zu vergessen.
    In weniger stolzer Stimmung als der, in welcher ich meine Morgenbesuche angetreten hatte, wendete ich den Wagen und fuhr dem mich erwartenden Rindfleisch entgegen.
     

VIERTES KAPITEL
     
    Die gelben Narzissen wurden braun und runzlig um den Rand ihrer Trompeten, und als die Tage wärmer wurden, schnitt man die verwelkten Blüten ab und bündelte ihre Blätter säuberlich zusammen. Anstelle ihrer blaßleuchtenden Pracht erschienen nun Tulpen, hoch, steif und in grellen Farben. Ich begann mit meinen Patienten und meine Patienten begannen mit mir vertraut zu werden. Unter ihnen fand sich ein Spengler, der die herabhängende Dachtraufe instand setzte, ein Schreiner, der das widerspenstige Gartentor gründlich eines Besseren belehrte, und ein Arbeiter, der die Kletterrosen beschnitt, die Fenstersimse ölte, die fehlenden Plättchen des Gartenwegs ersetzte und sich auch regelmäßig um den Garten kümmerte. Der
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