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In Gottes Namen. Amen!

In Gottes Namen. Amen!

Titel: In Gottes Namen. Amen!
Autoren: Simon Rich
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Der Vorstandsvorsitzende lehnte sich auf seinem Chefsessel zurück und schaltete den Flachbildfernseher an. In Venezuela herrschte Krieg. Er zwang sich, ein paar Minuten lang hinzusehen: Man erwartete von ihm, dass er über so etwas Bescheid wusste. Bei einem Meeting in der vergangenen Woche hatte ihn eine Frau gefragt, ob er »von Ghana gehört« habe. Er hatte gegrinst und die Daumen nach oben gereckt, weil er wusste, dass sich Ghana gerade für die Fußball-Weltmeisterschaft qualifiziert hatte. Wie sich herausstellte, hatte die Frau aber den Völkermord gemeint.
    Er nahm den Fernseher fest ins Visier, doch schon nach wenigen Minuten trübte Langeweile seinen Blick. Er beschloss, eine kurze Pause einzulegen. Nur fünf oder maximal zehn Minuten zwischendurch etwas anderes anzusehen. Dann würde er wieder auf Venezuela umschalten.
    Er betätigte die »Favoriten«-Taste seiner Fernbedienung, und auf dem Bildschirm erschien ein übergewichtiger Mann. Auf seinem Hemd hatten sich drei riesige Schweißflecken gebildet, jeweils einer unter den Achseln und ein weiterer mitten auf dem Bauch.
    »Und jetzt alle!«, schrie er in ein Mikrophon. »Und jetzt alle, preiset die Herrlichkeit des Herrn!«
    Der Vorstandsvorsitzende schaltete auf einen anderen Kirchensender um – und dann auf noch einen. Wenn er einmal mit den Kirchensendern angefangen hatte, konnte er manchmal gar nicht mehr aufhören. Er liebte den donnernden Tonfall der Prediger – und wie die Menschen vor lauter Verzückung bebten und stöhnten.
    Dann schaltete er auf einen Baptistengottesdienst in Memphis um. Eine ältere Dame rannte auf der Bühne hin und her, schlug sich auf Gesicht und Körper, als wolle sie sich gegen einen Ansturm von Killerbienen wehren.
    »Preiset Gott, den Allmächtigen!«, brüllte sie. »Preiset Gott, preiset Gott, preiset …«
    Ein junger Mann streckte den Kopf zur Bürotür herein.
    »Gott? Hast du zu tun?«
    Gott schaltete schnell wieder auf den Krieg um.
    »Äh … ich wollte gerade was wegen dieser Sache in Venezuela unternehmen!«, erklärte er und gestikulierte vage in Richtung Fernseher. »Da herrscht Krieg.«
    »Oh!«, stammelte der junge Engel. »Ich wollte nicht stören!«
    »Kein Ding. Was kann ich für dich tun?«
    »Das Zehn-Uhr-Meeting, es ist gleich so weit.«
    Gott sah auf die Uhr und schmunzelte.
    »Ja, so was«, sagte er. »Hab ich doch glatt die Zeit vergessen!«
    Der Engel führte Gott über den Flur zum Sitzungszimmer des Vorstands. Gerne hätte er ein bisschen Smalltalk betrieben, aber ihm fiel nichts ein. Die Wahrheit war: Er hatte einen Riesenrespekt vor seinem Chef. Er arbeitete jetzt schon seit fünf Jahren für Heaven Inc., aber tatsächlich war dies das erste Mal, dass er mit Gott persönlich sprach.
    Die Gelegenheit hatte sich rein zufällig ergeben. Craig hatte gerade Kaffee getrunken, als ihm einer der Erzengel auf den Rücken geklopft und gesagt hatte:
    »Hey, Page, bring Gott ins Vorstandszimmer.«
    Craig war Engel – stand also ganze zwei Dienstgrade über einem »Pagen« –, hatte sich aber nicht die Mühe gemacht, ihn zu korrigieren; aus Erfahrung wusste er, dass es sinnlos war, sich mit Erzengeln anzulegen. Außerdem war er dankbar für die Chance, endlich einmal einen Blick in Gottes Arbeitszimmer werfen zu dürfen. Es entsprach all seinen Erwartungen. Gottes Fernseher war riesig – mindestens 150 Zentimeter Bilddiagonale –, und seine Fernbedienung war der Wahnsinn: ein glänzendes Ding aus Chrom, das aussah, als wäre es speziell seiner Hand angepasst. Der Schreibtisch war aus massivem Ahorn und voll mit coolem Chefspielzeug. Da lag ein Zauberwürfel (schon fast fertig, wie Craig registrierte) und so ein Ding mit Metallkugeln, wo die äußeren minutenlang hin und her klackern, wenn man sie ganz leicht anstößt.
    Craig fand das Vorstandszimmer und zog, nicht ganz ohne Schwierigkeiten, die schwere Messingtür auf. Gott spazierte hindurch, und Craig wollte ihm folgen, doch eine starke Hand legte sich schwer auf seine Schulter. Es war die von Vince – ein hünenhafter Erzengel mit glattem blondem Haar.
    »Tut mir leid«, sagte er und grinste zu ihm herunter. »Ausschließlich Führungsebene.«
    Auf dem Rückweg in die bescheidene Abteilung für Wunder versuchte Craig sich vorzustellen, was hinter der riesigen Tür vor sich ging. Dort oben wurden weltbewegende Entscheidungen getroffen, umfassende und umwälzende Verkündigungen beschlossen, die die Schicksale von Milliarden betrafen. Er würde
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