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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt
Autoren: Robert Tibber
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ERSTES KAPITEL
     
    Es war Frühling, als ich nach einem langen, unfruchtbaren Winter endlich vom Verwaltungsausschuß des britischen Gesundheitsministeriums ermächtigt wurde, mich als praktischer Arzt niederzulassen. Die mir offiziell angetragene Praxis befand sich unweit Londons in einer Vorstadt und war durch den Tod des alten Kollegen verwaist, der sie fünfzig Jahre lang treu verwaltet hatte.
    Es mag seltsam klingen, aber ich nahm es meinem Vorgänger beinahe übel, daß er so überstürzt und unüberlegt das ^Zeitliche gesegnet hatte, ohne mir Gelegenheit zu geben, ihn kennenzulernen und mir Rat bei ihm zu holen, wie eine Kassenpraxis im Rahmen des Nationalen Gesundheitsdienstes zu führen sei. Nun blieb es mir überlassen, alles Nötige herauszufinden, und meine Vorstellungen von dem, was mich erwarten würde, waren recht gemischter Natur.
    In der Hauptsache stammten meine Eindrücke vom Tageslauf eines solchen Hausarztes nämlich aus dem Kino, wo in den sogenannten Arztfilmen ein herzzerreißend trauriges Melodrama sich zu entfalten pflegte, an dessen Schluß die innige Dankbarkeit sämtlicher Schwestern, Assistenten sowie des »den Fängen des Todes entrissenen« Patienten ihren rührenden Ausdruck fand.
    In Wirklichkeit stellte sich schon während meines ersten Praxisjahres heraus, daß mein Weg als »Familiendoktor« mich mitten durch Tränen und Lachen hinführte - allenfalls etwas näher den Tränen entlang. Die zwei praktischen Jahre, die ich nach bestandenem Staatsexamen als Assistent in den inneren und chirurgischen Kliniken verschiedener Spitäler zugebracht hatte, waren wenig angetan gewesen, mich auf mein neues Leben vorzubereiten. Zwar verstand ich mich auf die sachgemäße Ausführung einer Lumbalpunktion, und eine Tropfinfusion hätte ich fast im Schlaf vornehmen können. Allein, ehe noch ein paar Monate um waren, hätte ich gern diese beiden Fertigkeiten gegen ein wenig praktische Erfahrung in der Diagnose von Masern hingegeben, deren trügerischen Anzeichen ich noch niemals außerhalb der so unwahrscheinlich rosafarbenen Abbildungen des Aufschlags in den Fachwerken begegnet war.
    Im Spital hatte ich wohl auch Diagnosen gestellt, aber, wenn mir keine einfallen wollte, stets auf die des einweisenden Arztes vertrauen können, um dann ihre Bestätigung oder Ablehnung meinem jeweiligen Chef anheimzugeben. Umhüllt von der makellosen Weiße meines Arztmantels, überließ ich danach den Kranken getrost dem nie versagenden Mitgefühl der Schwestern.
    In der allgemeinen Privatpraxis gab es aber keinen Puffer zwischen mir und jenen, für deren Wohlbefinden ich, ziemlich jung und noch verhältnismäßig unwissend, wie ich war, die Verantwortung trug. Sobald ich von meinem weißen Spitalmantel Abschied genommen hatte, sank ich unvermittelt auf das allgemeinmenschliche Niveau herab und war von da an durch die zuverlässig arbeitenden Drähte zahlloser Telefone mit ebenso vielen Krankenzimmern verbunden. Ich arbeitete nicht mehr stoßweise während der Stunden, in denen ich »Dienst machte«, ich rief meinem guten Freund und Mitassistenten Faraday kein frohlockendes und schadenfrohes »Recht geschieht’s dir!« zu, wenn meine vierundzwanzigstündige Freizeit anbrach und er mich ablöste. Gleich im ersten Winter meiner neuen Praxis gab es Zeiten, zu denen ich arbeitete, während andere schliefen, freilich ohne deswegen zu schlafen, wenn sie arbeiteten. Damals hätte ich gern mit Faraday getauscht, um mir während meiner Dienststunden lässig Brotschnitten am Kamin des Ärztewohnzimmers rösten zu können. Meine Spitalerfahrungen hatten mich auf einen regelmäßigen Tagesplan und stets wiederkehrende Tagespflichten geschult, mit langen Stunden im Operationssaal und Notizen am Krankenbett. Jetzt war ich zum erstenmal gezwungen, mit der Seele zwischen den Leintüchern Fühlung zu nehmen. Und nur Fühlung zu nehmen reichte beileibe nicht aus. Ich mußte rein durch meine eigene Persönlichkeit - die, wie ich bald merken sollte, nicht das mindeste mit Medizin zu tun hat - das Rettungsseil des Vertrauens auswerfen, das, sofern es ergriffen wurde, jene zerbrechliche, nicht allzu elastische Beziehung zwischen Arzt und Patient herstellt, ohne die niemand mit Erfolg Arzt sein kann.
     
    Aus freien Stücken also hatte ich mich von den schwer werkenden, tüchtigen, weißbehaubten Helferinnen getrennt, und mit ihnen von den Temperaturtabellen, den sauber geschriebenen, genauen Berichten und sonstigen Angaben über das
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