Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Downtown Blues

Downtown Blues

Titel: Downtown Blues
Autoren: Myra Cakan
Vom Netzwerk:
Die Stadt

    »… wir haben viel zu spät erkannt, dass wir den Krieg gegen die illegalen Drogen nicht in Südamerika verloren haben. In unseren eigenen Küchen, unter unseren Augen, haben sie Drogen gemixt und das tödliche Zeug an ihre Freunde verkauft – unsere Kinder, ich spreche von unseren Kindern!«

    –Senator Edward Post, Auszug aus seiner Wahlkampfrede im März 2049 beim Bankett der Jahresversammlung der DCU

    Jedes Jahr schluckt die Downtown ein paar Blocks. Jedes Jahr rennen ein paar Irre mehr durch die Straßen – kriechen nachts aus ihren Verstecken, aus ihren Hinterhöfen, Mülltonnen. Kommen aus ihren Penthäusern in der Oberstadt, verlassen ihre Hightech-Luxusfestungen auf der Suche nach dem großen Kick. Sie wollen das Aroma von Gewalt und illegalen Drogen auf ihren Lippen schmecken, jenen Drogen, die den Kreuzrittern entgangen sind, und Gewalt, die käuflich ist. Denn sie suchen jene Art der Anonymität, wie sie nur Durchreisenden mit hohem Kredit gewährt wird.
    Junkies und Dealer, Bordsteinschwalben und Zuhälter, nichtregistrierte Outsider und Straßengangs, bewaffnete Privat-Armeen. Sie alle sind Figuren in einem großen, gefährlichen Spiel mit Regeln, die sich täglich ändern. Leben in der Downtown, das ist nur eine andere Art sich umzubringen.
    Downtown ist das Synonym für Abstieg. Lebensmittelkarten für Ersatznahrung, Massenunterkünfte, Wasserrationierung im Sommer, Smog das ganze Jahr, Terror in den Straßen. Kleine Geschäftsleute ohne Protektion, die ihre Straße, ihre Nachbarschaft nicht verlassen wollen, die noch ans Gestern glauben. Einwanderer, die noch auf ein Morgen hoffen. Sie alle werden von der Unter-Stadt gefressen und anschließend auf die Straßen gekotzt.
    Raumfahrtprogramme für die wenigen mit Illusion, doch wer träumt schon zwischen Horror-Trips, miesen Deals und verpassten Gelegenheiten von den Sternen?
    Dazwischen die DWNTN-Cops, sammeln den Dreck ein, wahren den Schein. Bleibt noch die City Force, die das Chaos zusammenhält, wenn die Killerkommandos der Triaden und Kartelle auf jedes bewegliche Ziel das Feuer freigeben, wenn die Drogenbosse um Territorien und Kunden kämpfen und sich die Gangmitglieder in den Straßen abstechen wie jedes Jahr in den heißen Sommermonaten.

    Dies ist meine Stadt, hier bin ich aufgewachsen – nachdem. Nach jenem Tag, an dem sich alles veränderte. Dem Tag, als meine Welt über mir zusammenstürzte und alles auslöschte, sogar meine Erinnerungen. Damals, an jenem Tag, da war ich genau drei Jahre alt – so hat man es mir jedenfalls erzählt. Kein gutes Alter, um für immer Abschied von der Kindheit zu nehmen. Nein, wirklich nicht.
    Man sagt, das Heim ist wo das Herz ist. Wirklich, ein toller Witz. Glaubt ihr etwa, mein Herz wäre in der Gosse? Und doch bin ich hier zu Haus. Straßenratte Donovan. Geboren, um auf der Straße zu leben, geboren, um in den Straßen zu sterben. Nur eine Nummer in der jährlichen Statistik. Klingt das etwa zynisch? Vielleicht hab ich einfach zu viele gesehen, die so endeten – Freunde und Fremde. Ein Leben wie in einem Sciencefiction-Film – »Soylent Green ist Menschenfleisch, Soylent Green ist Menschenfleisch!« – diese Stadt frisst ihre Bewohner.
    Da sind die Monate, die ich aus meinem Kopf gestrichen habe. Monate, die mich hart gemacht haben, hart und einsam. Monate, in denen ich meinen Namen vergaß. An meinen Händen sind noch Schwielen, an meinem Körper Narben. Sie sind da, um mich zu erinnern, auch wenn ich nur noch vergessen will. Und jetzt bin ich wieder in der Stadt, willkommen zu Hause, Donovan.
    Doch ich kann nicht sagen, dass mir die Aussicht gefällt, ewig in einem Schlafsaal zu wohnen, mit diesem ständigen Gestank nach ätzenden Desinfektionsmitteln und saurem Erbrochenem. Ein Gestank wie in einer dieser sterilen Ausnüchterungszellen bei den DWNTN-Cops, und keine Chance, ihn dir jemals abzuwaschen. Denn dieser Gestank der Verlierer, der dringt dir bis unter die Haut, legt sich auf deine Seele.

    Werd Dealer, arbeite dich als Schläger in ’ner Gang nach oben oder geh zur City Force. Hat alles irgendwie keine Zukunft, macht die paar Jahre, die du hast, nur etwas komfortabler. Ich weiß nicht mehr genau, warum ich die letzte Möglichkeit wählte, damals schien sie der beste Weg zu sein. Einer ihrer Scouts sammelte mich auf, als ich ziemlich weit unten war und dachte, weiter runter geht nicht. Das war, bevor sie mich für zwölf Wochen ins Trainingslager steckten. Zwölf Wochen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher