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Das Wunder von Bern - Fußball spielt Geschichte

Das Wunder von Bern - Fußball spielt Geschichte

Titel: Das Wunder von Bern - Fußball spielt Geschichte
Autoren: Peter Kasza
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1 | Anstoß
    Die Spieler unserer Goldenen Mannschaft waren für uns Nationalheilige. Dazu gehörte auch György Szepesi, der legendäre Rundfunkreporter. Er war der zwölfte Mann der Mannschaft. (…) Anfangs sah es so aus, als würde es ein absolut routinemäßiger Sieg werden – genauso, wie wir es erwartet hatten. Wir waren gespannt, weil es an diesem Tag um nicht weniger als das Schicksal unserer Nation ging
.
    György Dalos in der Erinnerung an das Finale von Bern
    3:2 – Der Titel von Fritz Walters Buch beschränkte sich auf das Notwendige – und er ließ nichts offen. 3:2 – so gewann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im WM-Endspiel am 4. Juli 1954 in Bern. 3:2 – und niemand hatte es erwartet. Für die Experten waren die Deutschen höchstens Außenseiter. Erst seit 1950 durften sie wieder international mitspielen und sie hatten es mehr schlecht als recht getan; durch die WM-Qualifikation hatten sie sich geschleppt, in der Vorrunde des Turniers 3:8 gegen Ungarn verloren und erst im Viertel- und Halbfinale des Turniers hatten sie wirklich überzeugt.
    2:3 – Ein Buch, das in Ungarn niemand schreiben wollte – auch dieser Titel hätte nichts offen gelassen. 2:3 – so verlor die ungarische Fußball-Nationalmannschaft im WM-Endspiel am 4. Juli 1954 in Bern. 2:3 – und niemand hatte es erwartet. »Goldene Mannschaft« nannte man sie. In 32 Spielen in Folge ungeschlagen, über vier Jahre lang; Olympiasieg in Helsinki; das Jahrhundertspiel in Wembley gewonnen; die Deutschen in der Vorrunde abgefertigt. Ungarn war der größte Favorit aller Zeiten. Und nun das … Deutschland war Weltmeister. Ungarn war nichts.
    Rein sportlich war das von der deutschen Warte aus gesehen höchst erfreulich und von der ungarischen aus mehr als betrüblich. Doch die Bedeutung des Endspiels von Bern ging über den rein fußballerischen Aspekt hinaus. Der Sieg wurde zum gesamtgesellschaftlichen Wunder, die Niederlage zur Katastrophe – einige würden an dieser Stelle anfügen: »verklärt«.
    Tatsächlich geht es um Mythenbildung, wenn das »Wunder von Bern« das deutsche Bewusstsein berauscht, und der Einfachheit zuliebe wird die Realität gerne ein bisschen zurechtgestutzt. Da heißt es schon mal, dass ohne das »Wunder von Bern« das Wirtschaftswunder vermutlich später eingesetzt hätte, wenn es denn überhaupt gekommen wäre – als ob ein gewonnenes Fußballspiel das Bruttosozialprodukt in die Höhe treiben könnte. Vom »eigentlichen Gründungsakt der Bundesrepublik« ist da schnell die Rede – als ob ein Fußballspiel das Fundament eines Staates sein könnte. Wenn man beim Historiker Joachim Fest nachfragt, ob er diesen ihm zugeschriebenen Satz wirklich so gesagt hat, dann winkt er ab. Was er einmal in einer Fernsehsendung gesagt habe sei, dass es drei Gründungsväter der Republik gegeben habe: Adenauer im politischen, Erhard im wirtschaftlichen und Fritz Walter im mentalen Bereich. Das ist natürlich etwas anderes und damit kommt man dem Kern der Ereignisse von Bern ziemlich nahe: Mental ist das entscheidende Stichwort, sowohl für Deutschland, als auch für Ungarn, wiewohl sich das magische Dreieck Politik, Volk und Sport nicht auseinanderreißen lässt. Wenn Fußballmannschaften auf internationaler Ebene gegeneinander antreten, dann finden sich ganze Nationen hinter ihren Teams zusammen. »Wir haben gewonnen«, heißt es dann, oder »Wir haben verloren«.
    Politisch waren die Spiele der deutschen und der ungarischen Mannschaft bereits vor dem Endspiel von Bern. Wenn Deutschland auf Frankreich oder auf Jugoslawien traf, dann traf es auf eine Nation, der sie während des Krieges Ungeheuerliches angetan hatte. Wenn Ungarn auf Österreich traf, dann fand die Rivalität der k. u. k.-Zeit ihre subtile Fortsetzung. Nur die politische Klasse selbst ging in beiden Ländern auf ganz unterschiedliche Weise mit dieser Rolle um. In Deutschland leugnete man von Seiten der Politik zwanghaft jegliche politische Bedeutung des Sportes – in Ungarn wurde der Sport am Volk vorbei zum Zeichen der Überlegenheit eines ganzen Gesellschaftssystems stilisiert. Woher diese Unterschiede in der politischen Bewertung? Welche Rolle nahmen die Mannschaften in beiden Gesellschaften ein?
    Es war der Kalte Krieg, der das Schicksal beider Nationen bestimmte.
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