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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
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Blumenblätter. Anschließend werfe ich ein Streichholz. Das flackert auf, eine blaue Flamme schießt hoch, dann knistert es und fängt an zu rauchen. Eine Weile bleibe ich so stehen und sehe es brennen, mein sechzehnjähriges Leben. Ich opfere es. Alles verschwindet, verkohlt. Tränen steigen mir in die Augen, aber ich kann nichts machen. Alles muss weg, ausradiert werden. Bald bleibt nur noch ein ekliger, glimmender Haufen zurück.
    Ein Kerl, der auf dem Rad vorbeifährt, starrt mich an und ruft:
    »Was machst du denn da?«
    »Würstchen grillen«, antworte ich.
    Das kommt direkt aus dem Bauch. »Würstchen grillen.« Mit einer Stimme, die neu, frech und mutig klingt. Eine Rebellenstimme. Sie scheint noch zu groß zu sein, trägt nicht so recht. Ich weiß noch nicht, ob mir das gefällt. Aber jetzt ist es zu spät, ich verlasse das glimmende Grab und radle nach Hause. Alles um mich herum ist frisch und neugeboren. Reingewaschen.
     

KAPITEL 1
     
    Es ist nicht leicht, ein Klassenzimmer zu betreten, wenn man keine Haut hat. Wenn man rundum neu ist und empfindlich wie eine frisch geschlüpfte Libelle, die Hülle dünner als Seide, wenn man weiß ist wie ein Papier, auf das noch niemand etwas gekritzelt hat, weder Mutter noch Lehrer oder Freunde. Wenn man Schürfwunden kriegt und zu bluten anfängt, sobald einen jemand nur streift, dann kommt man schon ins Zweifeln. Dann holt man tief Luft. Man öffnet ein Loch im Gesicht, das Mund genannt wird, damit das Fruchtwasser herausgedrückt werden kann, und dann fängt man an, etwas Kaltes, Scharfes einzusaugen, das Luft genannt wird, mit kleinen spitzen Kügelchen darin, die Sauerstoff genannt werden und die in der Brust platzen wie Kohlensäurebläschen in der Cola, und dann kippt der Kopf mit der Stirn voran nach vorn und stößt gegen die Tür, die weich und fleischig ist und in alle Richtungen nachgibt, dass es platzt und einen Spalt reißt, und dann wird es leuchtstoffröhrenweiß.
    Nur langsam treten Konturen hervor. Formen, die sich im Dunst bewegen, die flüstern, die sich in die eigene Richtung winden und rascheln. Dann ist das erste Kichern zu hören. Ein abgehacktes, flüsterndes Pisskichern, das schnell anwächst und Gesellschaft bekommt. Ein Murmeln aus dem Tal der Todesschatten, die Zombies erwachen mit keuchenden Ventilen. Es riecht nach Tod, der ganze Raum stinkt nach Obduktion und Verwesung, und man fängt schon an, alles zu bereuen, warum ist man nicht umgekehrt, was macht ein neugeborener Menschensohn unter diesen Spermawalen?
    Man zwängt sich hinein, so läuft das, man tritt ein Loch in die Welt, und dort hinein presst man seinen Körper. Und diese Mulde, dieser Tubus, wird dich den Rest deines Lebens begleiten. Eine zähe Hülle, gerade mal so groß wie man selbst, die einem folgt, wohin man auch geht, eine eigene kleine Räumlichkeit. Und innerhalb dieser Höhle bestimmt man selbst. Aber der Rest, alles, was außerhalb ist, das ist etwas, über das man keinerlei Kontrolle besitzt.
    In der Mittagspause schließe ich mich in eine der Toilettenkabinen ein und tue so, als würde ich scheißen, spüle ab und zu, wenn ich höre, dass jemand herein kommt, und versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Es tut so verdammt weh in der Lunge, besonders in dem Bereich, wo das Herz sitzt. Ich höre Stimmen da draußen, jemand redet über den Idioten, der sich blamiert hat, haha, du hast doch bestimmt auch schon davon gehört, was gestern passiert ist, dieser Typ, der es probiert hat, der geglaubt hat, er würde es hinkriegen, ich hab es selbst gesehen, was für eine Flasche, haha, du hättest sein Gesicht sehen sollen, haha, wie er hinterher geguckt hat, ich dachte, der kippt um …
    Erst als die Stunde anfängt, husche ich hinaus, und trotzdem, verdammt, als würde ein Dämon alles lenken, geht sie genau in der Sekunde vorbei, ich stoße fast mit ihr und ihren Freundinnen zusammen, sie weichen zurück und glauben, ich hätte das mit Absicht getan, dass ich mich wie eine Hyäne an sie heranschleiche und mich an sie schmeiße, und sie sagt:
    »Verpiss dich! Hast du es immer noch nicht kapiert: Du sollst dich verpissen!«
    Und die Meute hat uns bereits entdeckt, das Publikum steht da, und der Tratsch ist bereits in vollem Gange, bevor ich noch um die Ecke bin, er hat sich wieder an sie rangemacht, habt ihr das gesehen, der Kerl hat sie auf dem Klo abgepasst, man glaubt es kaum, der muss einen Totalschaden haben.
    Es tut verdammt weh, es sich einzugestehen. So
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