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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
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mein altes, normales Ich rausgehen, die Maske weitertragen, alle täuschen.
    Bei Tageslicht war der Kittel vielleicht sogar noch hässlicher, die reinste Migräneattacke. Mit zitternden Händen zog ich ihn über, knotete den Gürtel in der Taille, konnte den Ajaxgeruch riechen. Dann holte ich dreimal tief Luft, schob die Tür auf und rannte zur Bushaltestelle.
    Es war herbstlich kühl, es wehte unangenehm, und die üblichen morgenmüden Verdächtigen warteten schon. Zwei Frauen, ein Papa mit Kinderwagen, die Thailänderin, der Türke und noch ein paar. Merkwürdigerweise reagierte niemand auf meinen Aufzug. Sie froren weiter vor sich hin, unterhielten sich, knirschten mit den Zähnen oder schwiegen, genau wie sie es immer taten. Hinten vom Doppelhaus her sah ich Pålle kommen. Er ging in den Politikkurs ein Jahrgang über mir, ein giraffenähnlicher Loser mit wässrigem Blick, der sich in sinnlosem Wissen suhlte. Mal handelte es sich um die Angriffstaktik von Panzern im Zweiten Weltkrieg, mal um englische Automarken, dann um alte Synthesizer oder um globale Epidemien. Das letzte Mal hatte er davon gelabert, er wolle sich zum zivilen Landesschutz melden.
    Pålle wich einen Schritt zurück, als er mich sah, und schlenkerte mit seinem Giraffenhals, als hätte er das Gleichgewicht verloren. Dann schaute er weg. Er hatte den Putzkittel gesehen, soviel stand fest, versuchte aber sein Gesicht zu wahren.
    »Ich habe eine englische Homepage gefunden«, legte er los. »Du mailst denen die Musikfiles, die du magst, und dann konvertieren sie sie ins Analoge und pressen eine echte Vinylscheibe. Ist doch super, was, gutes altes schwarzes Vinyl mit Nadelrille und Abstand zwischen den Songs. Und den Umschlag drucken sie auch in dem großen alten LP-Format, ich kann dir die Adresse geben, wenn du willst …«
    Zum Glück kam da der vollgestopfte Bus, und ich landete weit weg von ihm, irgendwo im Gang. Der eine oder andere warf dem Putzkittel einen irritierten Blick zu, aber mehr passierte nicht. Vielleicht war es noch zu früh am Morgen, die Leute waren noch zu müde.
    Aber als ich im Zentrum in einen anderen Bus stieg, da ging's los. Ein fetter Typ mit Plastiktüte, ganz offensichtlich ein Alki, zwängte sich dicht neben mich, so nahe, dass ich den Gestank seines Morgenbiers riechen konnte. Ich glaube, er wollte mir Angst einjagen. Zuerst wollte ich ihm ausweichen, an einem normalen Tag hätte ich das getan, aber in dem Morgengedränge war das gar nicht möglich. Außerdem hatten die Nächststehenden bereits bemerkt, dass da was los war. Mehrere Schüler meiner Schule flüsterten sich grinsend was zu, und vor denen wollte ich nicht als Feigling dastehen.
    »Hö hö, hör mal«, grölte der Kerl, dass alle es hören konnten, »is der Zirkus gekommen?«
    Ich starrte ihn an, direkt in seine rotgeäderten Augen.
    »Wieso«, erwiderte ich. »Brauchste 'nen Job?«
    Kichern von den Umstehenden. Eins zu Null für mich.
    »Biste schwul, oder was, sieht man ja, dass du schwul bist, du kleiner Scheißer.«
    »Wenn du eine Gelegenheit suchst, musste woanders fragen.«
    Wieder Kichern. Unser Publikum wuchs. Der Putzkittel fühlte sich wie eine Schlangenhaut an, wie Gift.
    »Ich finde solche wie dich zum Kotzen, hau ab.«
    »Hau doch selbst ab.«
    »Ne, du sollst verschwinden. Weg hier.«
    Der Kerl packte den Putzkittel mit seinen Bierwürstchenfingern und schüttelte mich hin und her. Er war unangenehm stark. Keiner protestierte oder rührte auch nur einen Finger, um mir zu helfen. Der Bus näherte sich einer Haltestelle, und mir wurde klar, dass das meine Chance war. Als der Fahrer bremste und der Saufkopf auf mich fiel, sprang ich schnell zur Seite. Der Kerl fiel weiter, stolperte in die Menschenmenge und donnerte dann schwer zu Boden. Die Plastiktüte ließ ein Glasklirren vernehmen, und ein süßlicher Schnapsgeruch breitete sich aus. Der Fahrer bemerkte den Tumult, zog die Handbremse und stand von seinem Sitz auf. Ich beschloss, den beiden die Diskussion zu überlassen, verließ den Bus durch die Hintertür und spazierte die letzten Stationen entlang zur Schule. Mir war etwas wunderlich zumute. Schwindlig. Vielleicht war es das Adrenalin.
    Als ich auf dem Schulhof ankam, merkte ich, dass die Leute reagierten. Zwei Wirtschaftsschüler standen am Eingang, sie verrenkten sich fast den Hals nach mir. Drinnen im Treppenhaus blieben die Leute stehen und japsten nach Luft, ich hörte Pfiffe, Gelächter, einen Ruf, den ich nicht verstand.
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