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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
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Pizza gegessen«, sagte sie.
    »Ich habe keine Pizza gegessen.«
    »Das kann ich riechen. Die war für Samstag gedacht. Das war unsere Samstagspizza, die du da gerade reingestopft hast.«
    »Hoppla«, sagte ich.
    Was hätte ich sonst sagen sollen.
     
    Meine Mutter, also die Person, die mich einst geboren hat, besteht aus einer Nase. Diese glänzt, ist spitz und hat große Poren. Um die Nase herum befindet sich ein Teig, der Gesicht genannt wird. Der Teig bewegt sich, wenn sie isst. Dann öffnet sich ein Loch im Teig, und ein Rohr führt hinunter zu einem Sack, der Magen genannt wird. Um den Magen herum befindet sich ein warmer, wogender Sack, der Bauch genannt wird. Unterhalb des Bauchs gibt es zwei gebogene Würste, die Beine genannt werden. Sie gehen in platte Hornhaut über, die Füße genannt wird. Unterhalb der Füße gibt es etwas Glänzendes, das man Kunststofffußboden nennt. Da ist meine Mutter zu Ende, und etwas anderes hat angefangen. Etwas, das Wohnung heißt.
    Meine Mutter ist nicht Einstein. Ich meine das gar nicht böse, ich sehe das nur als Information an. Sie ist nicht die Schlauste von uns beiden. Ich bin Mama in fast allem überlegen, auch physisch. Ich schlage sie im Armdrücken, im Steinwerfen, im Weitspucken, Balljonglieren, Entfernungen schätzen, in der Lautstärke und beim Computerspiel. Ich bin größer als Mama. Ich scheiße längere Würste.
    Seit ich auf dem Gymnasium bin, merke ich immer deutlicher, dass ich meiner Mutter auch intellektuell überlegen bin. Dabei handelt es sich oft um Basiswissen, sie glaubt beispielsweise, dass Afghanistan größer ist als Pakistan. Oder dass der Mensch mehr Gehirnzellen besitzt, als es Sterne im Universum gibt. Sie versteht nichts von Integralen oder Gleichungen zweiten Grades, was wohl auf die Mehrzahl der Bürger unseres Landes zutrifft, aber sie ist außerdem felsenfest davon überzeugt, dass Entgelt mit d geschrieben wird, obwohl ich ihr zum Schluss sogar ein Wörterbuch neben ihren Haferbreiteller gelegt habe.
    Und da sieht man eine weitere Eigenschaft meiner Mutter, eine Sturheit, fast zum Verrücktwerden. Selbst wenn ich sie überzeugt habe, wenn ich ihr die Fakten schwarz auf weiß präsentiert habe, kann sie einwenden, dass das Wörterbuch zu alt ist. Ich zeige auf das Jahr der Herausgabe, 1998, unsere Sprache wird sich seitdem wohl kaum besonders verändert haben, aber sie erklärt, das Buch sei ja aus dem letzten Jahrhundert, was in gewisser Weise natürlich stimmt. Und außerdem kann jeder so ein Wörterbuch drucken. Nur weil es in irgendeinem Buch steht, muss es nicht stimmen. Ich erkläre, dass Svenska Akademiens ordlista nicht irgendein Buch ist. Da schnappt sie sich das Buch, blättert darin, zeigt auf eine Seite und ruft, dass es ja in Norwegen gedruckt wurde. Stimmt nicht, widerspreche ich. Stimmt wohl, erklärt sie, ob ich vielleicht die norwegische Schreibweise bei uns einführen wolle? Ich hole mir das Buch wieder und lese auf dem Vorsatzblatt Gedruckt bei AIT Gj ø vik AS Norge. Ich traue meinen Augen nicht. Mama mustert mich triumphierend, während ich die Mitglieder der Schwedischen Akademie wie achtzehn Pisslöcher im Tiefschnee versinken sehe.
    Ich bin besser als Mama beim Kreuzworträtsel, bei Sudoku, bei Pincodes und längeren Telefonnummern, bei den Nachnamen von Leuten, den Ministern in der Regierung und bei Automarken. Ich kann ihre beiden festen Lottotippreihen auswendig, während sie selbst sie auf einem Notizzettel in ihrem Portemonnaie aufgeschrieben hat. Ich kann den ganzen Text auf dem Milchkarton auswendig herunterleiern, inklusive Riboflavinanteil und dem Verfallsdatum, bevor sie HALLO SUSSI nur mit Großbuchstaben eintippen kann. Sie findet Amerika reizend, und dann frage ich sie immer, ob sie Nord- oder Süd- oder Zentralamerika meint und ob es die Ausrottung der Indianer, der Irakkrieg, die Hiroshimabombe, die Wasserfolter beim CIA oder die Kunst ist, am meisten CO 2 -Ausstoß pro Person in der Welt zu erzeugen, was sie so begeistert. Sie erklärt, dass New York die coolste Stadt der Welt ist. Ich erwidere, dass ich bereits in der dritten Klasse aufgehört habe, das Wort cool zu benutzen. Daraufhin ist sie beleidigt und beugt sich über den Teller. Auf dem liegt eine ungenießbare Masse, die sie als Gesundheitsbrei bezeichnet. Sie hat ihn selbst gekocht, da er laut der grünen Seite im Internet so besonders gesund und ökologisch ist, und hat Schalen, Kleie und Stiele hinzugefügt, bis der Nährwert dasselbe
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