Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
Niveau wie das von Sägespänen erreicht hat. Mamas Haferbrei ist so unverdaulich, dass sie ihn einen halben Tag lang einweichen muss, bevor sie ihn kochen kann, sie isst den Matsch unter lautem Stöhnen und spuckt die Schalenreste aus, sammelt sie auf dem Tellerrand, und noch bevor sie vom Tisch aufsteht, fängt ihr Magen an, zu rumoren und Pupsgase zu erzeugen, und in diesem Zustand macht sie sich hastig auf zur Arbeit.
    Was meine Mutter besser kann als ich, das sind die Namen von Arzneimitteln, die Körperteile auf Latein, Knochenbrüche, Wunden, Husten, Ausfluss, Stützverband. Sie kann Blut besser ertragen als ich, sie braucht weniger Schlaf, sie hat mehr Geduld mit anderen Menschen als ich und ihren Terminkalender zwei Monate im Voraus im Kopf, inklusive jede Nachtwache und Wochenendschicht. Sie kann sich Witze besser merken als ich. Sie kann die Kalorien einer Brotscheibe errechnen, indem sie sie nur anguckt. Sie hat einen Führerschein und darf wählen gehen. Sie kann jemanden künstlich beatmen, wenn sie als Erste bei einem Verkehrsunfall eintrifft. Sie kann ohne Nähmaschine nähen und eine abgenutzte Lederjacke mit Hilfe eines schwarzen Filzstifts wieder so auffrischen, dass sie wie neu aussieht.
    Aus welchem Grund auch immer gehen wir uns gegenseitig auf die Nerven.
     

KAPITTEL 2
     
    Morgen. Ein neuer Tag, ein neues Leben. Verschlafen schlurfte ich ins Badezimmer. Ich versuchte zu vergessen, wie ich aussah, versuchte so zu tun, als liefe ich durch die Stadt und sähe eine unbekannte Person das erste Mal. Dann begegnete ich mir im Spiegel.
    Stell dir ein Omelett vor. Ein Sechserpack Eier, die du mit dem Holzlöffel verrührst. Beiß von einer Knackwurst ab und spuck den Zipfel in die Mitte. Kräftig pfeffern, schwarze Hautunreinheiten. Kipp zwei starrende Perlzwiebeln, wässrig und leer, hinein. Schneid von einem Haushaltshandschuh einen Finger ab, so ein schlabberiges Lippenetwas, das etwas schief sitzt. Wirf ein paar dicke Preiselbeeren dazu, die scharf anbraten, bis sie zur reifen Akne platzen und anfangen zu tropfen.
    Fertig ist mein Aussehen. Mein Werbeplakat.
    Gleichzeitig, und das ist schon merkwürdig, erwecke ich keinerlei Aufmerksamkeit. Die Leute sehen mich nicht. Ich bin wie eine hässliche Tapete, ein leerer Teller, den man zur Seite schiebt, der Blick bleibt nicht haften, rutscht ab. Oft merke ich, wie die Leute mich einfach vergessen. Man kann mir eine witzige Begebenheit erzählen, ohne sich daran zu erinnern, dass ich dabei war, als sie passierte. Es ist schwer, so ein Leben zu akzeptieren. Ich würde niemals die Hauptrolle bekommen. Wenn der Film einmal zu Ende sein wird, wird man mich nicht im Abspann finden. »Ein Dank an alle Statisten« wird als Allerletztes in der kleinsten Buchstabengröße stehen. Das war dann die Spur, die ich hinterlasse. Der Applaus gilt anderen. Den Schönen. Den Zufriedenen.
    Ich wühlte ziellos in meiner Hälfte des Flurschranks herum. Was meine Kleidung betraf, so war alles kackfarben. Unbegreiflich, dass ich das nicht schon vorher bemerkt hatte. Tag für Tag hatte ich die gleiche Art von dunklen Pullovern angezogen, und wenn einer verschlissen war, hatte ich einen neuen in haargenau demselben Stil gekauft.
    Unangenehm berührt warf ich die Schranktür zu und ging in die Küche. Mein Blick fiel auf den Putzschrank. Ich öffnete die Tür und entdeckte das Ekligste, was es in Richtung Kleidung jemals gegeben hat. Es hing dort an einem Haken, ich holte es heraus, befühlte den billigen Polyesterstoff, war kurz vorm Kotzen, als ich das Muster betrachtete. Mamas Putzkittel. Er stammte aus dem Mittelalter, sie hatte ihn von ihrer Mutter geerbt, eine knallgrüne, knielange Angelegenheit aus den Sechzigern mit psychedelischen roten und lilafarbenen Blumen. In der Tasche lagen ein benutztes Taschentuch und ein paar aneinander klebende Putzhandschuhe. Hier und da gab es Flecken, Ausfransungen, kleine Risse, eine Naht, die sich gelöst hatte, so dass lange Fäden heraushingen. Der Kittel war so hässlich, dass er die Grenze zum Hässlichen bereits überschritten hatte und etwas anderes geworden war, ein Schock. Ich würde darin wie ein Zwischending aus einem Verrückten und einem farbenblinden Oberpriester aussehen, und ich wusste, dass keiner in meinem pupsvornehmen Gymnasium jemals in etwas Ähnlichem herumgelaufen war.
    Ohne meine Mutter zu wecken, lief ich die Treppen hinunter und blieb in der Haustür stehen. Noch war alles wie immer. Ich konnte weiterhin als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher