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Ein Pirat zum Verlieben

Ein Pirat zum Verlieben

Titel: Ein Pirat zum Verlieben
Autoren: Amy J. Fetzer
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1
Coral Key, Florida
1989
    Tess Renfrew stellte den Motor ihres 65er Mustang ab und starrte auf das Lenkrad.
    Sie hatte Angst.
    Das war wirklich zu dumm.
    Wenn sie erwischt wurde, würde man sie festnehmen. Selbst wenn Penny sie deckte, selbst wenn Sloane von ihrem hohen Ross herunterkam und ihre angedrohte Erpressung gestand, würde sie eine Vorstrafe haben. Keine halbwegs normale Mutter würde ihr je wieder erlauben, ihr Kind zu trainieren. Und damit wäre ihre Karriere beendet.
    »Ganz einfach«, sagte sie zu dem Emblem auf dem Lenkrad, einem galoppierenden Pferd. »Ich darf mich eben nicht erwischen lassen.«
    Sie sah die von Bäumen gesäumte Straße hinunter zum Rothmere Building, dem weißen Prachtbau, der an eine Festung aus vergangenen Zeiten erinnerte. Das Gebäude war alt, der Traum jedes Architekten als typisches Beispiel für den Stil des achtzehnten Jahrhunderts: Prächtiger spanischer Stuck, reiche Verzierungen aus Schmiedeeisen, ein Hauch von Gotik durch die breiten Simse und Zierleisten an Fenstern und Dachrinne.
    Gute Kletterhilfen.
    Ein Kinderspiel – wenn man von der Tatsache absah, dass es eine Alarmanlage gab. Tess konnte die kleine silberne Platte an der Steinsäule neben dem Tor deutlich sehen. Praktisch für jeden Einbrecher ein Hinweis, was ihn erwartete.
    Sie schob sich ein Juicy Fruit in den Mund, begutachtete ihr hochgestecktes Haar und zog eine Wollmütze über die tiefschwarze Fülle. Nachdem sie ihre voluminöse Tasche im Handschuhfach verstaut hatte, sperrte sie es ab und klebte den Schlüssel zusammen mit einem Satz Dietriche an ihr Bein. Sie lächelte. Dad hatte ihr das Werkzeug tatsächlich überlassen. Mehr als einmal war sie um Hilfe gebeten worden, wenn es darum ging, die Schlösser von Haustüren oder Autos zu knacken, bei denen der Schlüssel drinnen steckte. Das war eine Spezialität ihres Pflegevaters gewesen. Sie knackte Schlösser aus Hobby, wegen der Herausforderung, nicht um zu stehlen. Dieser Abschnitt ihres Lebens war seit langem vorbei.
    Aber was sie heute Nacht vorhatte, war Diebstahl. Es zählte weder, dass es um belastendes Material ging, das die Karriere einer Freundin für immer zerstören könnte, noch dass Sloane im vollen Triumphgefühl über ihren Racheakt wertvolle Informationen entschlüpft waren und Tess genau wusste, in welchem Raum, in welcher Schublade sie suchen musste. Penny hatte Recht. Es war kein Collegestreich. Diesmal nicht, dachte sie zähneknirschend und voller Wut bei dem Gedanken, was Sloane Rothmeres Spielchen sie und Penny kosten würden, wenn sie scheiterte.
    Auf dem College hatte Tess einmal vom Schreibtisch des Dekans einen Briefbeschwerer aus Kristall mitgehen lassen. Dekan Whingate war dafür bekannt, diese klare Kristallkugel liebevoll zu streicheln, bevor er einen seiner Studenten zu einem Sklavendasein mit Arbeit in der Cafeteria verdonnerte oder vom College warf. Sie hatte das Verwaltungsgebäude erklommen, den Briefbeschwerer geklaut, dann gewartet, bis der ganze Campus von dem Verschwinden erfahren hatte und die Gesichtsfarbe des Dekans zu einem prächtigen Hochrot angelaufen war, bevor sie ihn zurücklegte. Nur die Mitglieder ihrer Schwesternschaft Delta Pi wussten, wer ihn genommen hatte, und sie waren zu Geheimhaltung verpflichtet. Das war jetzt über sechs Jahre her.
    Mal sehen, ob ich’s noch draufhabe, machte sie sich Mut, als sie aus ihrem schicken Oldtimer stieg. Sie klappte das Verdeck zu, sicherte es und huschte in den Schutz des Schattens. Eine halbe Stunde beobachtete sie das alte Gebäude. Es war still. Dunkel. Gott, es war nervenaufreibend. Nicht einmal ein Hund oder eine Katze rührte sich. Nichts. Sie konnte spüren, wie ihr unter dem eng anliegenden Trikot aus Baumwoll-Lycra der Schweiß ausbrach. Schließlich nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, rieb ihre Hände mit Kolofonium ein, schlich zum Zaun und packte die Eisenstäbe. Indem sie die Kraft beider Arme einsetzte, zog sie sich hoch, bis die spitzen Enden an ihrer Taille waren. Langsam spreizte sie die Beine, um sie über den Enden schweben zu lassen, machte dann eine Drehung, schwang sich in einen Handstand und ließ los. Sie landete geräuschlos auf dem Boden und duckte sich schnell. Zehn Punkte für Schwierigkeit, zehn für Ausführung und Landung, Renfrew. Sie rannte über den englischen Rasen zum Haus und drückte sich an die kühle Steinmauer. In aller Ruhe suchte sie nach dem richtigen Zimmer und plante ihre Route. Veranda, Fenster, Fahnenstange,
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