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Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Titel: Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt
Autoren: Manfred Scherrman
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ganz anderen Licht erscheinen.
    Einer dieser machtvollen, weit verbreiteten Glaubensätze ist uns schon im Zusammenhang mit den Warum-Fragen begegnet: »Wenn ich es verstehen würde, könnte ich es weglegen.«
    Diese Aussage trifft sicherlich bei vielen Sachfragen zu, etwa wenn ich unbedingt wissen will, wie etwas funktioniert, und es nach langem Kopfzerbrechen endlich herausgefunden habe. Auch bezogen auf den zwischenmenschlichen Bereich ist sie nicht rundum falsch. Wir alle kennen Situationen, in denen einanfänglicher Ärger sich legt, wenn geklärt ist, was los war – warum die Freundin nicht zum vereinbarten Treffen erschienen ist, warum die Tochter entgegen der Abmachung doch nicht angerufen hat, warum die Kollegin plötzlich so giftig ist. Desgleichen lassen sich Enttäuschungen leichter verkraften, wenn nachvollziehbar ist, wieso ein Versprechen nicht gehalten werden konnte oder ein Plan umgeworfen werden musste. Eine Erklärung, möglichst in Verbindung mit einem Ausdruck echten Bedauerns, kann meistens die Wogen glätten. Allerdings nicht immer. Die vorgetragenen Gründe müssen schon stichhaltig sein, und zwar nach meinen Wertmaßstäben. Ob sie ausreichen, um das »Vergehen« zu entschuldigen, darüber entscheide ich.
    Manchmal helfen allerdings die detailliertesten Erklärungen des anderen und intensivstes Nachdenken über seine Beweggründe nicht weiter. Es gibt Enttäuschungen, Kränkungen, Verletzungen, die so heftig und tief sind, dass sie trotz aller Erklärungen weiter schmerzen und rumoren. Der verlassene Ehemann leidet weiter unverändert stark unter der Trennung, auch wenn er rational nachvollziehen kann, dass seine Frau nach allem, was er ihr zugemutet hat, nicht mehr wollte und konnte. Auch dann, wenn ein geliebter Mensch sich das Leben nimmt, wird die Begrenztheit von verstandesmäßigem Begreifenwollen deutlich. Warum nur hat er das getan? Warum hat er mir das angetan? Etwas leichter wird es bisweilen schon, wenn mein Grübeln zu dem Ergebnis führt, ich bin nicht schuld. Doch der tiefe Schmerz bleibt. Das Finden von Gründen führt auch hier nicht zu der erhofften großen Entlastung.
    Immer da, wo sehr wichtige, enge Beziehungen betroffen sind, reicht verstandesmäßiges Verstehen nicht aus. Wie sollte das anders sein bezogen auf die existenziellsten aller menschlichen Beziehungen, nämlich die zur Mutter und zum Vater? Wenn Sie sich das klarmachen, fällt es Ihnen vermutlich leichter, nicht immer wieder über denselben unbeantworteten Fragenzu grübeln und Ihren Eltern nicht immer wieder Warum-Fragen zu stellen, auf die es doch keine befriedigenden Antworten gibt.
    Ein anderer weit verbreiteter Glaubenssatz lautet: »Wer will, kann auch.« Sie erinnern sich an Frau E., die sich am Telefon immer wieder Loblieder auf ihre Schwester anhören musste und ihrer Mutter einfach nicht vermitteln konnte, wie nervig und verletzend das ist. Resigniert-vorwurfsvoll kommt sie zu dem Schluss: »So schwer ist das doch nicht zu verstehen. Wenn die Mutter es verstehen wollte, könnte sie das auch. Vermutlich will sie es einfach nicht – es ist ihr egal, zu mühsam oder was auch immer.«
    Dieser festen Überzeugung, »die Eltern hätten es anders machen können, wenn sie nur gewollt hätten«, begegnen wir immer wieder, in unterschiedlichem Gewand. Dazu einige Beispiele:
    Bei Frau W., Mitte 40, drehte sich daheim alles ums Geld. Der Vater hatte früh den Schreinerbetrieb von seinem gesundheitlich angeschlagenen Vater übernehmen müssen, und die Mutter machte das Büro: »Es sah für mich immer so aus, wie wenn der Betrieb kurz vor dem Bankrott stünde. Alles drehte sich nämlich immer ums Geld. Da habe ich halt zähneknirschend nachmittags meine kleinen Geschwister gehütet. Sie waren sechs und acht Jahre jünger als ich. Ich habe kaum mal aufgemuckt, weil es immer hieß, es geht nicht anders, Mama muss wieder ins Büro. Erst ab der Pubertät habe ich dann kapiert, dass es eigentlich nie so knapp war, und eine richtige Wut auf meine Eltern bekommen. Wenn sie nur gewollt hätten, hätten sie durchaus jemanden fürs Büro einstellen können. Dann hätte sich meine Mutter selber mehr um meine Geschwister kümmern können. So hatte ich ständig die Kleinen im Schlepptau und konnte bei vielem nicht mitmachen, was die anderen Kinder spielten.«Herr K., der von einem abgelegenen Bauernhof kommt, verübelt es noch heute, mit Ende vierzig, seinem Vater, dass er nur die Volksschule besuchen konnte. Er hätte
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