Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0128 - Der Seelenwald

0128 - Der Seelenwald

Titel: 0128 - Der Seelenwald
Autoren: Martin Eisele
Vom Netzwerk:
»Findet sie! Findet die beiden und bringt sie zu mir!« Immer wieder gellte dieser Befehl durch die neblige Nacht.
    Gewaltige Wolkenberge hatten sich vor die große, trübgelbe Scheibe des Mondes gewälzt. Die Dunkelheit war allmächtig. Wie ein gigantisches, schwarzes Leichentuch hatte sie alles und jeden unter sich begraben. Und doch war es ihr nicht gelungen, das Leben, das in diesem Dorf herrschte, zu ersticken.
    Im Gegenteil!
    Sie nährte es, stärkte es, denn es war dämonisches Leben! Das fleischgewordene Böse!
    Die Stimmen der Verfolger dröhnten in Jane Collins’ Ohren, hallten in ihr nach, drohten ihren Schädel zu sprengen. Sie versuchte, sie zu ignorieren. Konzentrierte sich voll auf ihre Umgebung, darauf, daß sie nicht stolperte. Und sie rannte schneller. Automatisch schneller. Wie eine Marionette, die von einem unsichtbaren Puppenspieler zu einer wahnwitzigen Melodie bewegt wurde.
    Peter McCrady, der Mann, der sie vom schwarzen Altar der Alten befreit hatte, hetzte dicht vor ihr durch die winkelige Gasse, die aus dem Dorf hinausführte.
    Der Mob kam näher. Die Stimmen wurden lauter, waren deutlicher zu hören.
    »Pack sie! Laßt sie nicht entkommen!«
    »Sie haben den Altar entweiht! Asmodinas Altar!«
    Und wieder gellte das heisere, hungrige Gekläffe der Hunde durch die Nacht.
    Janes Herz hämmerte. Wahnsinn, dachte sie. Purer Wahnsinn.
    Und mit diesen kometenhaft aufblitzenden Gedanken kam auch die Angst. Panische Angst, die bisher nur in ihrem Unterbewußtsein pulsiert hatte. Wie eine rote Flutwelle überschwemmte sie sie. Erst jetzt begriff sie, was für einem fürchterlichen Schicksal sie durch McCradys beherztes Eingreifen entgangen war. Vorerst wenigstens…
    Die Alten hatten sie töten wollen! Ein Ritualmord auf einem schwarzen Altar! Ihre Seele sollte den Dämonen-Wald nähren!
    Ein Opfer für den Wald der Seelen!
    Es fiel Jane unsagbar schwer, darüber nachzudenken. Alles war wie ein böser Traum für sie. Sie wußte nicht einmal, wie sie in dieses Dorf gekommen war.
    Im Auftrag eines Klienten war sie nach Gorlochny, einem kleinen, verträumten Städtchen unterwegs gewesen, das nur wenige Meilen vom Yorkshire Dales National Park entfernt lag.
    Dort war sie niemals angekommen.
    Wenigstens erinnerte sie sich nicht daran.
    Auf dem schwarzen Altar war sie zu sich gekommen, und dann hatten sich die Ereignisse überschlagen.
    Jetzt rannte sie um ihr Leben! Nur weg von hier! So schnell wie möglich! So weit wie möglich! Guter Himmel, sie mußte die Menschen draußen warnen! John Sinclair…
    Die schrecklichen Rituale der Alten durften nicht weitergehen!
    Auf den schwarzen Altären durften keine unschuldigen Menschen mehr sterben!
    Dem Seelenwald durften keine Opfer mehr dargebracht werden!
    Aber Jane wußte, daß ihre Chancen momentan verdammt schlecht standen. Die Meute, die ihr und ihrem Begleiter auf den Fersen war, stand mit der Tochter des Teufels im Bunde! Mit Asmodina!
    »Verdammt!« Das war McCradys Stimme.
    Im selben Augenblick fühlte sich Jane herumgewirbelt. Hart krachte sie gegen eine rissige Bretterwand. Ein Geräteschuppen.
    Mühsam unterdrückte sie einen schmerzerfüllten Laut.
    »Da hinein! Schnell!«
    McCrady drückte sie in eine Nische und legte ihr seine große, schweißnasse Hand auf den Mund. »Ganz still, Jane! Sie sind schon da! Sie haben uns eingekreist! Verdammt, sie waren schneller als wir!«
    Er preßte sich gegen sie, deckte sie mit seinem massigen Körper, denn das weiße Kleid, das sie ihr zum Sterben angezogen hatten, leuchtete förmlich, war viel zu auffällig.
    Und dann näherten sich geschmeidige, kaum hörbare Schritte…
    ***
    Jane Collins hielt den Atem an.
    Mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie die tödliche Gefahr.
    Ganz nahe mußten die unheimlichen Verfolger sein! Viel zu nahe!
    McCrady atmete flach, gepreßt. Er lauschte. Noch immer lag seine Hand schwer auf ihren Lippen.
    Die Schritte kamen näher. Immer näher. Sand knirschte unter Stiefelsohlen. Stoff raschelte.
    »… hier irgendwo sein, verdammt! Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!«
    »Wir werden sie finden, keine Sorge!«
    Plötzlich: Stille!
    Jane starrte an McCradys Schulter vorbei. Auf der gegenüberliegenden Hauswand tanzte rötlicher Feuerschein. Zwei massige Schatten zeichneten sich ab.
    Also mußten die beiden nur zwei, drei Yards von der Nische entfernt stehengeblieben sein!
    Eine Sekunde verging.
    Fünf.
    Zehn.
    Wie ein zäher Brei tropften die Sekunden ins Meer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher