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Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Titel: Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt
Autoren: Manfred Scherrman
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goldenen Kette, die ihr gehört hatte. Ich trennte mich in Liebe von Dingen, die ich mit der Enge meines Elternhauses verband. All das waren Zwischenschritte auf meinem Weg zu ihr.
    Die wesentliche Wende passierte dann erst mit meinem 40. Lebensjahr, als mir klar wurde, dass auch meine zweite Ehe gescheitert war. Es gab Situationen vor, in und nach meiner Trennungszeit, in denen ich nächtelang wachte und/oder weinte, mich endlos allein und hilflos fühlte und glaubte, alles nicht zu schaffen. Ich hörte mich selbst Klagesätze sprechen, die auch meine Mutter immer gesagt hatte. So ähnlich waren wir uns also!
    Damals hatte ich viele Theorien und Therapiesequenzen im Kopf. Ich kannte heilende Sätze aus Familienaufstellungen und so manches Ritual, das helfen konnte, Schweres loszulassen. So kam mir dann die Idee, meinen längst verstorbenen Eltern einen langen Brief zu schreiben. Es schrieb mich geradezu an sie. Ich fuhr zu ihrem Grab, las ihnen den Brief laut vor und buddelte den Brief in die Erde ihrer Grabstelle. In diesem Brief standen als Essenz Sätze wie: ›Ich kann es auch nicht besser als ihr. Meine Ehe ist gescheitert. Lange habe ich mit euch gehadert. Heute weiß ich, auch ihr habt euer Bestes gegeben und unser aller Wohl gewollt.‹ Und einen ehrlichen und aufrichtigen Dank enthielt mein Brief an meine Eltern. Ich werde nie vergessen, wie die Amsel kam, sich einen Meter neben mir auf den Grabstein meiner Eltern setzte und lauthalsdas schönste Lied sang. Ich weinte entlastende Tränen in dem sicheren Wissen, dass meine Mutter speziell diese Amsel zum immer versöhnenden Gruß geschickt hatte.
    Letztendlich war mir eine Hinwendung zu meiner Mutter nur durch mein eigenes Leid möglich, durch das Spüren, wie schwer es ist, allein mit den Kindern dazustehen. Ich weiß, wie eng sich das Leben da manchmal anfühlen kann und welche Überforderung es bisweilen bedeutet. Auch meine Mutter muss sich schließlich in den Phasen der Trinkerei meines Vaters wie eine Alleinerziehende gefühlt haben, da er außerstande war, Präsenz zu zeigen. Parallelen zwischen unseren Lebensverläufen zu entdecken und anzuerkennen half mir zu meinem Frieden mit ihr.
    Heute schaue ich nicht mehr nach einem Fehlverhalten und einem Versagen meiner Eltern. Heute habe ich nicht mehr die Phantasie, sie schuldeten mir etwas. Heute fühle ich, dass meine Eltern genau richtig waren für mich. Ich konnte nur die werden, die ich heute bin, weil ich genau diese Eltern hatte. Immer mehr lerne ich, mich selbst ganz in Ordnung und liebenswert zu finden. Sie schulden mir nichts. Sie haben alles gegeben, was ihnen damals möglich war. Es kam mir über eine lange Zeit wenig vor. Heute weiß ich, es hat sie viel gekostet an Kraft und Entbehrungen, uns drei Kinder so weit zu begleiten, wie es ihnen gelungen ist. Mehr war ihnen in ihrem Kontext nicht möglich. Vor allem das Scheitern meiner eigenen Ehen hat mich Demut gegenüber dem Leben gelehrt. Ich wollte viel, und habe es nicht bekommen. Ich war voll bester Absichten, und es ging nicht gut. Diese Einsicht lässt mich auch sanft zu meinen Eltern zurückblicken: Auch sie wollten wohl viel und sind mit manchem gescheitert.
    Immer wieder, wenn ich anderen Menschen, besonders wenn sie auch Bruchteile meiner Kindheitsverzweiflung kennen,weitergebe, dass Frieden mit den Eltern möglich ist, höre ich sie fragen: ›Machst du dir selbst nicht etwas vor? Wie kannst du nur aus all dem dir Geschehenen heute Gutes machen? Redest du dir da nichts schön?‹ Dann kann ich nur sagen: ›Nein! Ich behalte doch im Blick, wie schwer es für mich war. Aber ich kann mir heute innerlich zulächeln und die kleine Ellen umarmen und ihr danken für ihre Phantasie, mit der sie Göttinnen erschuf, und mich freuen, dass sie ihre kleinen inneren Heilungsmechanismen damals schon in sich trug. Ich weiß auch weiterhin, was mir alles fehlte, was ich entbehrte und von meinen Eltern nicht bekam. Manchmal blitzt es noch auf, dieses ›wie schön‹ und ›so leicht kann es sein‹, wenn ich im Kontakt zwischen Eltern und ihren Kindern Leichtigkeit, fließende Liebe, Anerkennung mitbekomme, einfach so dahingegeben, geschenkt … Dann sind schnell noch einmal Tränen da. Doch ich habe mir inzwischen eine Haltung erarbeitet, nicht nur auf mein eigenes Leid zu blicken, sondern auch das zu sehen und zu achten, was meine Eltern zu tragen und zu meistern hatten in ihrer Zeit und in ihren damaligen Systemen. Und aus dieser Haltung heraus
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