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Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt

Titel: Endlich in Frieden mit den Eltern - und frei für das eigene Leben - Was Menschen bewegt
Autoren: Manfred Scherrman
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offensichtlich gewählt hatte, weil er sich für mich interessierte, obwohl die Mutter mich so fürchterlich empfand und immer behauptete, mich würde nie ein Mann nehmen. In meinem erstenMann steckte eine Person, die mich ganz und gar wollte – viel mehr, als ich damals ertrug. Zur Bearbeitung der Beziehung zu meiner sechs Jahre zuvor gestorbenen Mutter war es noch zu früh, ich war blockiert. Um meinen Vater ging es erstaunlicherweise kaum – auf wundersame Weise hatte ich mich schon im Anblick seines Sterbens und Todes mit ihm ausgesöhnt.
    In den Jahren vor dem Tod meines Vaters war ich so wütend auf ihn, dass ich gegenüber meinem damaligen Ehemann den Satz aussprach: ›Wenn der stirbt, weil der Suff ihn dahinrafft, und wenn er vorher nichts dagegen tut, dann spuck ich ihm allenfalls ins Grab.‹ Ich wollte einen starken Vater und musste immer mit ansehen, wie schwach er war, wie er es sich selbst immer schlechter gehen ließ, wie wenig Disziplin er für sich selbst aufbringen konnte. Was mich trotzdem an das Krankenbett meines Vaters zog, weiß ich nicht – vermutlich mein zu der Zeit sehr wirksames ›Brave-Tochter-Syndrom‹. Ich befand mich damals mitten in der Prüfungsphase meines Pädagogikstudiums. Die immer umfangreicher gewordene Diplomarbeit lag hinter mir, bewertet mit Note eins, zum Thema ›Motivation alkoholkranker Menschen in der Entgiftungsphase‹ – welche Ironie! Wenigstens hatte ich es versucht, meinen Vater zu retten …
    Drei lange Wochen saß ich am Sterbebett meines Vaters und sah zu, wie die Blutung, die er sich während eines Sturzes in betrunkenem Zustand zugezogen hatte, in seinem Kopf immer mehr Bereiche zerstörte. Am Ende konnte er nicht mehr mit mir sprechen. Da geschah etwas Seltsames: Es sprach und handelte mich an seinem Bett. Ich weiß nicht, wer da saß – die 26-jährige Ellen sprach einen so erwachsenen Dank an diesen Mann, der vor ihren Augen immer mehr verfiel, ohne wirklich ihr Vater gewesen zu sein, der sie immer nur finanziell versorgte … nicht aber liebend … oder doch? Das war nicht mehr wichtig, ich war in Frieden mit ihm.Meinem Vater hatte ich nur kurz und heftig während meiner Studienzeit gegrollt. Ihn hatte ich ja immer geschont. Ich sah in der aufgeregten keifenden Mutter mein schlimmstes Übel. Erst sehr spät wurde mir Vaters Anteil an dem Leid meiner traurigen Kindheit klar. Nach seinem Tod konnte ich mich selbst von meinem eigenen inneren Sockel herabholen, mich als Kind wieder in die rechte Position rücken, auch meinen Vater wieder in das rechte Licht rücken, das ihm zusteht. Und jetzt bleibe ich seine erwachsene Tochter.
    Mit meiner Mutter dauerte der Weg der Versöhnung länger. Erst 16 Jahre nach ihrem Tod suchte ich mir einen Therapeuten, der mir helfen sollte, das Thema mit meiner Mutter endlich zur Ruhe zu bringen. Er fragte mich: ›Wie machst du das, dass du 16 Jahre diese Wut auf deine Mutter konservierst? Und weißt du eigentlich, wie viel Kraft das kostet?‹ Mein Therapeut fragte mich auch, wie meine Mutter gelebt hatte. Ich weiß noch gut, dass ich mich einerseits nicht verstanden fühlte von diesem Therapeuten und ihm grollte. Zugleich ließ mir seine Frage, wie ich es schaffte, meine Mutter über 16 Jahre diese Macht über mich haben zu lassen, keine Ruhe mehr.
    Ab diesem Zeitpunkt wollte ich herausfinden, ob ich das Recht hatte, meiner Mutter so lange und so heftig zu grollen. Wenn ich mir vorstellte, wie belastet meine Mutter gelebt hatte, unter permanenter Beobachtung der Großeltern, konnte ich fast so etwas wie Sympathie für sie empfinden. Ich spürte, dass ich viele Fragen an sie hatte. Nach einiger Zeit stellte sich fast so etwas wie Trauer darüber ein, dass ich sie im realen Leben nie mehr fragen konnte, warum sie so und nicht anders gehandelt und sich selbst nie aus ihren Zwängen befreit hatte.
    In dieser Zeit suchte ich meine Fotoalben nach Bildern durch, die eine positive Verbindung zwischen meinen Eltern und mir dokumentierten. Es gab jeweils eines, das mich bei Mutter undVater auf dem Arm zeigte. Ich ließ die Fotos abfotografieren und vergrößern. Sie hängen noch heute vereint in einem Rahmen bei mir an einem Familienfoto-Sammelplatz in meiner Wohnung. Ich zündete der kleinen Ellen und ihren Eltern öfter Kerzen vor diesen Fotos an – rückwirkend sollte das Schwere, Dunkle heilen können. Außerdem schrieb ich in Gedanken Briefe an meine Mutter. Ich ließ mir das Frauenzeichen schmieden und trug es an einer
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