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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
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kümmern, seine Rolle aufzudecken, auch nur seinen Namen zu erwähnen. Auch hier: Wie verhext.
    So, wie es nun Bücher gab, welche davon lebten, die Schreibhemmung eines Autors zu begründen, sollte »Marlock« von der Lesehemmung eines Lesers handeln. Dies hatte natürlich wenig bis nichts mit der tatsächlichen Geschichte des Thomas Marlock zu tun und auch wenig bis nichts mit den eigentlichen Gründen dafür, daß sich Thomas Marlock die drei Bücher Mortensens ausgeliehen hatte. Wie die polizeilichen Ermittlungen ergaben, war der Ermordete einer von den Menschen gewesen, die geradezu zwanghaft grammatikalische Ausbesserungen in Druckerzeugnissen vornahmen, selbige auch mit diversen Bemerkungen, Richtigstellungen und Hinweisen vollkritzelten und dabei vorzugsweise Ausgaben verunstalteten, die ihnen nicht gehörten.
    Die untersuchenden Beamten hatten sich die Mühe gemacht, jene Bücher zu begutachten, die sich Thomas Marlock in den letzten Jahren aus verschiedenen Bibliotheken ausgeliehen hatte, und waren dabei immer wieder auf seine Handschrift gestoßen, nicht aber in jenen Exemplaren, die er selbst besaß. Daß sich unter diesen »Korrekturen« auch verschlüsselte Hinweise befanden, die seine Arbeit beim Software-Hersteller »Kranion« betrafen, war ein Verdacht, der altertümlich anmutete und auch nicht weiter verfolgt wurde. Zudem verdiente die Auswahl der Bände, die Marlock vorgenommen hatte, den Begriff »querbeet«. Ein Umstand, den Mortensen hinnahm wie in etwa die Nachricht, daß der Aufbau des Universums nach neuesten Erkenntnissen irgendwie anders war, als man bisher gedacht hatte. Er würde sein Buch schreiben, und es würde »Marlock« heißen. Punktum!
    Ein schöner Sommertag. Heiß, aber erträglich, vorausgesetzt, man saß einfach da und schnappte regelmäßig nach Luft. Die beiden Männer ruhten auf ihrer Bank und schwiegen. Männer in den besten Jahren, die geduldig auf das Ende dieser besten Jahre warteten. Und deren Haltung schon jetzt etwas Greisenhaftes besaß, morsch und moosig. Für einen Moment lösten sich die beiden im Schatten auf. Auf Lauscher jedoch fiel ein Lichtstrahl. Wie auf einen Heiligen. Angewidert drehte er sich zur Seite.

Noch ein letztes Wort des Autors
    Um etwaigen Mißverständnissen zuvorzukommen, muß gesagt werden, daß sämtliche Personen und Handlungen der Wirklichkeit entsprechen. Dies gilt ebenso für jegliche Darlegung von Artefakten, Schauplätzen und Zuständen. Noch der kleinste beschriebene Gedanke wurde tatsächlich gedacht. Jeder Satz gesagt, jede Grimasse geschnitten. Eine jede Schneeflocke fiel realiter. Ein jeder dargestellte Ort weist genau jene Eigenarten auf, wie sie in diesem Buch herausgearbeitet wurden. Das heißt also: Selbstverständlich ist die Nottreppe des Stuttgarter Fernsehturms mit Radiogeräten aus den 40er und 50er Jahren ausgekleidet und dient einem Heer von Spatzen als Winterquartier. Selbstverständlich existieren Lokale wie Tilanders Bar und Cravans Blume . Selbstverständlich ist die Gegend um die Robert-Bosch-Straße von nicht nur ausgesuchter, sondern auch im pathologischen Sinn beweisbarer Häßlichkeit. Selbstverständlich lebt eine Freifrau von Wiesensteig und lebt noch immer.
    So gesehen besteht die einzige Freiheit des Autors darin, einen bestimmten Blick auf die Dinge zu werfen, einen bestimmten Standpunkt einzunehmen, etwa die Betonung schöner Haare der Betonung abstehender Ohren vorzuziehen. Oder umgekehrt. Allein diese Freiheit, den Blick abzuwenden oder eben nicht abzuwenden, unterscheidet die Fiktion dieses Buches von einer Wirklichkeit, die keine Wahl hat und also vollständig dasteht, wegen dieser Vollständigkeit allerdings einen etwas schwammigen Eindruck vermittelt. Darum die Fiktion. Der Autor schafft Konturen, indem er herausstellt oder wegläßt, niemals aber erfindet. Was sollte eine Erfindung auch sein? Ein Ding, das gar nicht existiert? Ein Wort, das nichts bedeutet?
    Sollten also einzelne Personen sich in meiner Darstellung nur unvollständig wiedergegeben fühlen (gewissermaßen bloß einarmig dargestellt), so tut mir das leid. Und besonders leid tut mir natürlich, viele Personen überhaupt nicht erwähnt zu haben; jeder verdient es, erwähnt zu werden. Meine Reduktion auf die zentralen Figuren geschah aus reinem Mangel an Zeit und Raum.
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