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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
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und Kollegen Chengs aus Wiener Tagen, dessen Frau, dessen Nachfolger als Ehemann und eine ganze Menge anderer Personen, die davon wußten, wie sehr das Unglück Cheng zu verfolgen pflegte, all diese Leute waren geradezu perplex, auf welche Weise er diesen Unfall überstanden hatte. Ohne sich auch nur einen Knöchel verstaucht zu haben. Denn natürlich war man in Wien überzeugt gewesen, daß es Cheng in Deutschland nicht viel besser ergehen würde als in seiner Heimat, daß also zu den österreichischen Wunden nun die deutschen hinzukämen, so daß der gute Mann in eine fortlaufende Traumatisierung von Körper und Geist geraten und sich in diesem persönlichen Unwetter irgendwie auflösen würde. Weit gefehlt.
    Nicht einmal Moira Balcon war in der Lage gewesen, ihr Vorhaben umzusetzen und Cheng zu töten. Man könnte sagen: Wie verhext. Etwas Rätselhaftes mußte über Cheng gelegen haben. Etwas von einer schützenden Hand. Oder einem schützenden Arm. Jedenfalls kam bei aller Erheiterung, welche die Nachricht von Chengs Überleben bei einigen Wienern auslöste, auch eine gewisse uneingestandene Bestürzung zum Tragen. Man fragte sich, ob alles mit rechten Dingen zugegangen sei – vom katholischen Standpunkt aus. Und wenn nicht …
    Daß Cheng völlig unversehrt und mittels eigener Kraft aus dem Wrack gestiegen war – selbst die beiden leichtverletzten Polizisten mußten von Helfern befreit werden –, änderte nichts daran, daß er für einige Tage in ein Spital eingeliefert wurde, wo man sich freilich weniger um seinen Körper sorgte als um seine Psyche. Es sollte sichergestellt werden, daß bei aller schlechten Nachrede, die in diesen Tagen diverse Behörden und staatliche Institutionen erfuhren, der Zivilist Cheng die Unruhe nicht noch steigerte, indem er etwa den gerade aufblühenden Rosenblütschen Mythos öffentlich in Frage stellte. Ein Mythos, der sich natürlich auf die Selbstheilungskräfte der Demokratie bezog, die einen Mann wie Rosenblüt überhaupt erst hervorgebracht hatte. Gutaussehend und unbestechlich.
    Nun, Cheng hatte nicht im geringsten vor, irgendein Spiel zu verderben. Aber, wie gesagt, man bestand darauf, ihn zunächst unter freundliche Beobachtung zu stellen. Was wiederum mit sich brachte, daß Cheng erst am dritten Tage nach jenen aufreibenden Ereignissen in der Lage war, sich von seinem Mitarbeiter Purcell hinauf zum Roseggerweg chauffieren zu lassen. Die Freifrau empfing die beiden Männer in ihrem S-Stuhl, wobei man nicht umhin kam, ihr die Haltung einer Prinzessin nachzusagen: ein wenig kindlich, ein wenig lasziv und selbst im Liegen noch ein wenig von oben herab.
    Es war nun nicht die Katze April, die auf dem Schoß Eila von Wiesensteigs lag, sondern Lauscher, der angesichts der so überaus zierlichen Aristokratin einen beinahe wuchtigen Eindruck machte. Es war offensichtlich, daß er diesen Ort und diese Lage zu schätzen wußte. Was nur verständlich war, wenn man bedachte, wieviel bequemer es sich ausnahm, anstatt durch den kalten, feuchten Schnee zu waten und ständig auf irgendwelchen groben Lappen abgestellt zu werden, die warme Körpermitte einer liebenswürdigen Freifrau zu besetzen. Einer Frau, welche tatsächlich ausschließlich mit ihrem Bauch zu atmen pflegte, so daß Lauscher wie auf bewegtem Wasser dahintrieb. Mit einer Art von Verrat, Liebesverrat, hatte dies nun gar nichts zu tun. Abgesehen davon, daß Lauscher nicht zu lieben pflegte.
    »Ein großartiger Hund«, meinte Eila von Wiesensteig zur Begrüßung.
    »Tja«, sagte Cheng unverbindlich. Und ärgerte sich.
    Postwendend ärgerte ihn sein Ärger. Er wollte nicht lächerlich sein. Dennoch mußte er sich eingestehen, von Lauscher so etwas wie Euphorie erwartet zu haben. Zumindest eine bescheidene Geste der Wiedersehensfreude. Zur Not ein Schwanzwedeln. Zur Not ein Aufrichten der Ohren. Doch nichts dergleichen geschah. Und zwar keineswegs, weil Lauscher beleidigt gewesen wäre oder Cheng nicht erkannt hätte. Vielmehr fehlte ein echtes Motiv, um eine gemütliche Position aufzugeben. Sein Schwanz lag zwischen den Hinterbeinen eingeklemmt. Und er lag gut. Wie auch die Ohren gut lagen. Es verbat sich schlichtweg, irgend etwas zu bewegen. Irgend etwas in Unruhe zu versetzen. Nicht wegen dreier Tage ohne sein Herrchen Cheng.
    »Lauscher erinnert mich an meinen verstorbenen Mann, den Freiherrn«, sagte Eila, um gleich darauf zu erklären, nicht etwa an eine Reinkarnation zu glauben, Gott behüte. Sie meine bloß diese
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