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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
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gelöst. Der Flug der Kugeln war, vielleicht mit einer Ausnahme, in etwa so unkontrolliert gewesen wie der Flug des Wagens durch den Wald und in den Stamm hinein. Eine Verdoppelung der Katastrophe. Somit aber auch eine Übereinstimmung von außen und innen.
    Das Resümee: Moira Balcon starb, und zwar nicht an der verirrten Kugel, die sich aus der Waffe eines der begleitenden Polizisten gelöst hatte, sondern an den inneren Blutungen, die sie beim Aufprall davongetragen hatte. Von den drei Männern der Eingreiftruppe erlitten zwei leichte, einer schwere Verletzungen, was im Falle des letzteren immer noch ein Glück bedeutete, da er am ungünstigsten gesessen war und – nach den Regeln der Logik und wenn man sich das Autowrack ansah – eigentlich anstelle von Moira Balcon den Kleinbus als Toter hätte verlassen müssen.
    Dennoch waren natürlich eine Menge Herrschaften glücklich darüber, daß Moira Balcon verschieden war. Die Affäre war peinlich genug. Ein Mordprozeß hätte die Angelegenheit noch viel unerfreulicher gestaltet. Übrigens gab es auch Skeptiker, die behaupteten, Moira Balcons Tod sei sehr wohl auf das Projektil in ihrem Körper zurückzuführen gewesen und von einer verirrten Kugel könne keine Rede sein. Aber solche Leute gibt es immer, Leute, die sich durch den »Zweiffelsknoter Skandal« in ihren Ahnungen bestätigt sahen und alles an Verschwörungstheorien auspackten, was sie seit längerem mit sich trugen. Aber es waren wenige, und man hielt sie für nicht weniger irre als jene Frau, die, mal mit, mal ohne Auftrag, Köpfe abgeschnitten hatte.
    Überhaupt entwickelte sich mit der Zeit die Anschauung, daß Moira Balcon zwar phasenweise auf Befehl ihres Geheimdienstes gearbeitet hatte, aber die konkrete Ausformung dieser Arbeit, also Zeichnen und Köpfen, ihre eigene wahnhafte Idee gewesen war. Man verbrannte ihre Leiche und verstreute die Asche irgendwo im Norden Englands. Moira Balcon war rasch vergessen.
    Dr. Thiel wurde ebenfalls von einer Kugel verletzt, die offensichtlich vom Fahrer des Wagens abgegeben worden war. Das Projektil hatte seinen Hals durchschlagen, und eine Zeitlang sah es ziemlich schlecht aus. Aber es ist wohl so, daß Schwerverletzte, die nicht sterben wollen, es auch nicht tun. Dr. Thiel wollte nicht. Er verweigerte sich den verführerischen Angeboten des Jenseits, ignorierte all die famosen Lichterscheinungen am Ende irgendwelcher Tunnels und entschied sich dafür, noch ein wenig länger in der buntgrauen Ödnis des Diesseits zu verweilen.
    Als er erwachte, umgeben von seiner Frau, von Freunden und Kollegen, darunter auch Rosenblüt, sagte er mit zitternder Stimme: »Ich liebe Dr. Thiel.« Was einerseits zu einer peinlichen Betroffenheit führte (Frau Thiels wegen), andererseits zu der Annahme, er habe etwas ganz anderes sagen wollen. Doch wenn man weiß, wieviel Mühe ihn seine Doktorarbeit (»Die Folter als Ultima ratio im Grenzbereich des Legalen sowie auf dem Weg in den rechtsfreien Raum, untersucht am Beispiel ausgesuchter Vollzugsorgane in den Jahren 1979-1982«) gekostet hatte, dann wurde klar, daß er genau deshalb überlebt hatte, um noch eine ganze Weile als dezidierter Akademiker über die Erde zu wandeln. Er gehörte zu jenen Menschen, die ihren Doktortitel wie ein zweites Herz mit sich trugen. Und wer zwei Herzen besitzt, stirbt nicht so schnell.
    Markus Cheng war sicher nicht der Mensch, der ein zweites Herz sein eigen nennen konnte. Aber ein solches hatte er diesmal auch gar nicht nötig. Als gebe es im Leben auch so etwas wie Gerechtigkeit und Ausgleich, war der einarmige Detektiv völlig unverletzt geblieben. Jener schmale, scharfe Karosserieteil, welcher Moira Balcons Bauchdecke geradezu aufgerissen hatte, war nur wenige Millimeter an Chengs linker Flanke vorbeigezogen. Hätte Cheng noch einen linken Unterarm besessen, dann hätte er ihn diesmal verloren. So aber konnte man den Detektiv ohne eine einzige Schramme aus dem vollkommen zerstörten Wagen befreien. Es wunderte ihn nicht einmal. Er wußte, daß er zu Absurderem berufen war, als in einem Auto zu sterben.
    Absurd scheint freilich, daß der Fahrer des Wagens bei diesem Unfall verschwand. Denn als die Polizisten, welche die Eskorte gebildet hatten, bei dem demolierten Kleinbus angekommen waren, um die Insassen zu bergen, fehlte der Fahrer. Dr. Thiel war nicht ansprechbar und konnte deshalb auch nicht auf die Bedeutung des Verschwundenen hinweisen. Noch herrschte große Verwirrung. Niemand war
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