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Seehaie

Seehaie

Titel: Seehaie
Autoren: emons Verlag
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1
    Er sah auf die Uhr. Schon
halb sieben. Wurde langsam Zeit, die Sache zu Ende zu bringen. Noch einmal zog
er an seiner Zigarette, ehe er den Blick auf sein Gegenüber richtete.
    »Tja, Freundchen! Das hast du dir
nun selbst zuzuschreiben. Niemand beißt ungestraft in die Hand, die ihn
füttert.« Mit spitzen Lippen pustete er einige Rauchkringel in die Luft, sah
ihnen gedankenverloren nach, bis sie sich im Blätterdach der Bäume verloren.
»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, begann er aufs Neue. »Du hättest wissen
müssen, dass du gegen uns nicht anstinken kannst! Das haben schon ganz andere
versucht, und keinem ist es sonderlich bekommen.«
    Er machte eine längere Pause,
gerade so, als wolle er dem Angesprochenen Gelegenheit geben, sich zu
verteidigen. Doch der blieb stumm. »Konntest den Hals nicht voll genug kriegen,
stimmt’s? Und jetzt? Jetzt hast du den Boden unter den Füßen verloren.« Als ihm
die Doppeldeutigkeit seiner Aussage bewusst wurde, lachte er verhalten.
    Er ging ein paar Schritte und sah
sich um. Nichts rührte sich. Zwischen den Bäumen, etwas tiefer gelegen und doch
gefährlich nahe, die Häuser von Wallhausen, dicht dahinter der blinkende See,
dessen jenseitiges Ufer sich im Dunst verlor. Langsam wurde es dort unten
lebendig: Einige Wallhausener machten sich bereits auf den Weg zur Arbeit,
andere gingen mit ihren Hunden spazieren. Bald würden die ersten Jogger
unterwegs sein.
    Sorgfältig drückte er auf der
Schuhsohle seine Zigarette aus, akribisch darauf bedacht, kein Krümelchen auf
den Boden fallen zu lassen. Die Kippe legte er zu den anderen in eine
mitgebrachte Plastiktüte.
    Ein letzter Blick streifte den
Mann, zu dem er gesprochen hatte. Dann gab er sich einen Ruck. »Okay, bringen
wir’s hinter uns«, murmelte er, fischte ein Handy aus der Jackentasche und
drückte ein paar Tasten.
    »Ist dort die Polizei? Sie sollten
schnell einen Wagen schicken, hier hängt einer … na hier, im Wald, etwa einen
halben Kilometer oberhalb Wallhausen, rechts von der Landstraße nach Dettingen … Wie er heißt? Weiß ich doch nicht, denken Sie, ich fass den an? … Ach so, wie
ich heiße, meinen Sie? … Hallo, hallo?« Er drückte die Aus-Taste.
    Ein frischer Wind war aufgekommen,
der Tote über ihm begann leicht zu schaukeln.
    Mit geübten Griffen zog er sich die
weißen Latexhandschuhe von den Fingern. Nach einem letzten prüfenden Blick
machte er kehrt und lief mit raschen Schritten in den Wald hinein.

2
    »Verdammte Hitze«, knurrte Hauptkommissar
Wolf apathisch und schloss sein Fahrrad ab. Um kurz nach sieben war das
Thermometer neben dem Eingang bereits auf satte vierundzwanzig Grad
geklettert. Das konnte ja heiter werden. Selbst unten am See, wo meist eine
leichte Brise wehte, war diese Hitze mehr als lästig.
    Vollends unerträglich fand er sie im Dienstgebäude der
Überlinger Kripo. Das für eine Polizeidirektion ungewöhnlich moderne Bauwerk,
im Volksmund respektlos »Aquarium« genannt, protzte mit einer spiegelnden
Fassade aus Glas und Aluminium. Diese Außenhaut verwandelte die Innenräume
schnell in eine finnische Sauna, und entsprechend hitzig war mitunter die
Stimmung unter den Kollegen.
    Wolf verscheuchte diese Gedanken. Er hatte Wichtigeres
zu tun, als sich über das Wetter den Kopf zu zerbrechen. Seit gut drei Wochen
hechelten sie hinter einer Gruppe von Rumänen her, die bei nächtlichen
Überfällen auf Banken im Bodenseeraum weit über eine Million Euro erbeutet
hatte, ohne dass man ihre Spur entdeckt, geschweige denn einen der Täter
gefasst hätte. Ihren letzten Coup hatten die Rumänen vor zwei Tagen in Owingen
gelandet. Die Täter gingen stets nach dem gleichen Muster vor: Sie klauten ein
schweres Fahrzeug, rissen mit dessen Hilfe den Tresor aus der Wand und
verschwanden damit in den umliegenden Wäldern. Wolf hätte sonst was drum
gegeben, den Fall endlich vom Hals zu haben.
    Na ja, neuer Tag, neues Glück – vielleicht war ja
ausnahmsweise mal was dran an dem Spruch! Entschlossen machte er sich an den
Aufstieg zu seinem Büro. Seine Abteilung, das Erste Kriminaldezernat, kurz: D1,
befand sich im zweiten Stock, und auf die paar Treppen kam es nun auch nicht
mehr an. Er war bereits verschwitzt, schlimmer konnte es nicht kommen.
    Joanna
ließ den Arm aus dem Autofenster baumeln und genoss den warmen Fahrtwind. Fast
wie in der alten Heimat, dachte sie und ließ die Schranke hoch, die die
Einfahrt auf den Parkplatz der Polizeidirektion freigab.
    An Tagen wie
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