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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
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imstande zu sagen, was eigentlich geschehen war. Auch Cheng nicht, der kurz vor dem Unfall vor lauter Erschöpfung eingenickt war und die Bemerkung des Fahrers bezüglich großer Polizeiherzen nicht hatte hören können. Andernfalls wäre natürlich auch ihm frühzeitig ein Licht aufgegangen. So aber konnte Cheng – gleich den beiden leichtverletzten Polizisten – nichts anderes berichten, als daß Dr. Thiel mit einem Mal seine Pistole gezogen und sie gegen den Kopf des Lenkers gerichtet hatte. Gleich darauf sei der Wagen über die Fahrbahn geschlittert, über den Rand gelangt und wie von einem Katapult befördert in die Höhe aufgestiegen.
    Trotz Irritation war natürlich allen bewußt, daß Dr. Thiels Handeln kein unsinniges gewesen sein konnte und es sich also bei dem Fahrer um einen als Polizisten getarnten Killer handeln mußte. So unklar es war, wie denn Dr. Thiel dies hatte erkennen können, so sehr gab ihm das Verschwinden des Fahrers recht. Unverzüglich wurde eine Fahndung eingeleitet. Ein Erfolg stand außer Frage, da der Vorsprung des Flüchtigen ein minimaler war und man sich schließlich nicht mitten in einem Dschungel, sondern am Rande einer Großstadt befand.
    Dennoch: Der Mann tauchte in der Schneelandschaft unter und nicht wieder auf. Und nach all den Straßensperren und einer umfangreichen Durchforstung des Gebietes hätte es niemanden verwundert, wenn man nach der ersten Schneeschmelze irgendwo im Bereich von Buchrain und Weißtannenwald auf die Leiche des englischen Agenten gestoßen wäre. Aber auch das geschah nicht.
    Zynisch formuliert, könnte man es so ausdrücken: Es wurde nicht einmal der Verband gefunden, der seine verletzte Schulter umgeben hatte. Andererseits war sein Verschwinden der einzige, aber eindeutige Beweis dafür, daß Dr. Thiel nicht falsch gelegen war, wenngleich sein Agieren unglücklich ausgefallen war. Woraus niemand ihm einen Vorwurf machte.
    Weit unangenehmer für die Polizei war der Umstand, daß der englische Agent überhaupt an das Steuer dieses Wagens gelangt war. Was mit nichts anderem als einer Riesenschlamperei erklärt werden konnte. Riesenschlampereien gehören freilich dazu. Ohne sie wäre das Leben gleichförmig, eigentlich unerträglich.
    Übrigens wurde nie in den Medien vom einem »englischen Agenten« gesprochen. Dazu hätte man mehr in der Hand haben müssen als jenen sprichwörtlichen Spatzen. Die Sache blieb dubios. Wobei natürlich Rosenblüts Fernsehauftritt beträchtliche Wellen schlug. Um so mehr, als er von Rauchbomben und dem Einsatz einer Spezialeinheit begleitet und auf der windumspülten Plattform des Stuttgarter Fernsehturms vollendet wurde.
    Allerdings muß auch gesagt werden, daß der politische Skandal, der sich aus den Enthüllungen ergab, lange nicht so ergiebig war wie der Ruhm, der dabei für Rosenblüt abfiel. Wenn er vorher ein Star unter Stars gewesen war, den die meisten eigentlich nur als »Polyp, der wie dieser amerikanische Filmschauspieler aussieht« kannten, so wurde Rosenblüt nun wirklich berühmt. Ästhetik und Ethos vermischten sich. Die Schönheit dieses Mannes, sein Charisma, sein giftiges Lächeln, das Gewitter und der Glanz in seinen Augen vermengten sich mit der Anständigkeit und dem Mut seines Handelns.
    Es gab Momente, da war ihm das fast peinlich. Zumeist jedoch kam er mit seiner Popularität ganz gut zurecht, und nicht wenige der Kriminellen, welche er überführte, erfüllte es mit Stolz, nicht von irgendeinem dahergelaufenen Bullen geschnappt worden zu sein, sondern von Hauptkommissar Rosenblüt, der nur noch der Rosenblüt war. Und natürlich kam der Moment, da man ihm einen politischen Job anbot. Er lehnte ab, nicht einmal dankend, und zwar um des Ablehnens willen. Die Verweigerung besaß eindeutig den süßeren Geschmack.
    Bei alldem wurde er von Dr. Thiel begleitet, der ein wenig an Robin neben Batman erinnerte, schmächtig, blaß, intellektuell, zufrieden mit der Kühle des Schattens, in dem er stand.
    Erwähnt sollte auch werden, daß dieser Fall vor allem in einigen Wiener Kreisen zu großem Erstaunen und mancher Belustigung führte. Weniger auf Grund des geheimdienstlichen Mißbrauchs einer psychiatrischen Einrichtung, denn in bezug auf psychiatrische Obskuritäten hielten sich die Wiener für Weltmeister, nein, diese Belustigung ergab sich vielmehr aus dem Umstand, daß Markus Cheng aus dem völlig zerstörten Polizeiauto ohne jede Verletzung geklettert war. Beamte der Wiener Polizei, Freunde
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