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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
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eine einzige Rezension war erschienen. Mortensen hielt sich zunächst für einen Boykottierten, mußte aber bald einsehen, daß es noch viel schlechter um ihn bestellt war. Zumindest, wenn man unter einem Boykott eine bewußte Handlung verstand. Denn nichts wies darauf hin, daß Mortensen und sein Werk mit Absicht übersehen wurden. Wenn er bei den Kulturredaktionen anrief, um eine Stellungnahme einzufordern, spürte er geradezu das hilflose Achselzucken. Keine dieser Personen machte ihm die Freude zu erklären, nie und nimmer einen solchen Unfug wie Bruchlandung besprechen zu wollen. Nein, es war einfach so, daß absolut niemand seine Bücher je wahrgenommen hatte, niemand sich auch nur an einen einzigen Titel erinnern konnte. Oder auch nur daran, einen dieser von giftiger Farbe bestimmten Einbände in Händen gehalten zu haben.
    Auch der Leiter des Kleinverlages, der die drei Bücher herausgegeben hatte, konnte sich das Fehlen jeglicher Reaktion nicht erklären. Andere Werke aus seinem Programm fanden immerhin die Aufmerksamkeit einiger Fachzeitschriften und stießen auf ein kleines, engagiertes Publikum. Mortensens Bücher jedoch gingen nicht bloß auf dem Weg in die Stuben der Kritiker verloren, sondern tauchten in so gut wie keinem Buchladen auf. Es war wie verhext. Und daß der Verleger nicht gleich nach dem Flop von Bruchlandung aufgegeben hatte, sondern auch noch Die Lust , ein Hemd zu bügeln sowie Unglück eines Lottospielers hatte drucken lassen, war einer Dickköpfigkeit zu verdanken, die dem Herausgeber selbst nicht ganz geheuer gewesen war. So, als habe er sich höchstpersönlich mit jenem Fluch anlegen wollen, welcher wie der Geruch alten Bratöls über dem Schriftsteller Moritz Mortensen zu liegen schien.
    »So schlecht sind Ihre Bücher doch wirklich nicht«, hatte der Verleger nach dem unbemerkten Erscheinen der weichselroten Biographie eines Lottospielers gesagt. Eine Äußerung, die für Mortensen nicht wirklich ein Trost gewesen war und in der bereits das Ende gesteckt hatte, wie einer von diesen häßlichen Apfelflecken, die ja den meisten noch zu verspeisenden Äpfeln innewohnen. Ein viertes Buch würde es kaum geben. Nicht bei diesem Verleger, der ohnehin über Gebühr das Schicksal herausgefordert hatte. Unglück eines Lottospielers war der geeignete Abschluß dieser dreifüßigen Katastrophe gewesen.
    Alles ging so überaus schnell. Anstatt seinen Schritt zu verlangsamen, trieb die Aufregung Mortensen gegen seinen Willen an. Es gelang ihm nur schwer, den lesenden Mann näher zu betrachten. Vor allem aber war er nicht in der Lage zu erkennen, in welchem Buch der Stuhldieb gerade las, da er es gegen die Kante des Tisches stützte, so daß bloß das obere Drittel des Umschlags schräg über die Tischfläche stand. Allerdings meinte Mortensen in der minimalen Spiegelung, die sich auf dem Tisch ergab, einen weichselroten Schimmer zu erkennen. Aber ganz sicher konnte er nicht sein. Zudem hielt er es für unwahrscheinlich, daß dieser Mann nicht bloß eines, sondern gleich zwei oder gar alle drei Mortensen-Bücher aus dem Regal gezogen hatte. Warum auch? Bei nur einem Buch, eben jenem zitronengelben, konnte ein Zufall angenommen werden. Schließlich gab es auch Bibliotheksbesucher, die recht planlos in die Bücherreihen griffen. Aber warum sollte jemand gleich alle drei Erscheinungen dieses einen Autors auswählen? Das wäre dann kaum noch als planlos zu bezeichnen gewesen.
    Nachdem Mortensen an ihm vorbeigegangen war, bog er nach rechts ab, vollzog eine Kurve von hundertachtzig Grad und geriet hinter ein im Raum stehendes Regal. Durch den in Kopfhöhe befindlichen Spalt, der sich zwischen einem Fach und der darunter liegenden Buchreihe ergab (Ringelnatz bis Rosegger), konnte Mortensen nun den Stuhldieb beobachten, allerdings nur von schräg hinten. Mit der Seite seines Oberkörpers verdeckte der Mann das Exemplar, in dem er las. Er wirkte steif und verbissen. Und er wirkte leicht verzweifelt. Zumindest kam es Mortensen so vor, obwohl er den Gesichtsausdruck des Mannes gar nicht sehen konnte. Gut zu erkennen war hingegen auch von hier der zitronengelbe Einband von Bruchlandung . Und endlich besaß Mortensen die Ruhe, sich auf den darunterliegenden Band zu konzentrieren. Allerdings war dieser so plaziert, daß allein der Block der Seiten zu sehen war, nicht aber der Rücken. Und Mortensen somit nur etwas über die Dicke dieses Buches erfahren konnte. Eine grasgrüne Spiegelung ergab sich
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