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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
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nicht.
    Während Mortensen mit zusammengekniffenen Augen den Lesenden betrachtete, erinnerte er sich der Anstrengungen, die es gekostet hatte, bis man schließlich bereit gewesen war, seine drei Bücher in den Bestand dieser Bibliothek aufzunehmen. Denn natürlich waren die zuständigen Einkäufer nicht von selbst auf sein Werk gestoßen. Vielmehr war es notwendig gewesen, die Bibliothekare mit Telefonaten und Briefen zu traktieren. Mortensen hatte diese Leute geradezu weichgeklopft. So lange, bis sie wohl keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatten, als die drei Bücher anzukaufen und in der Belletristik einzuquartieren. In etwa, wie man faule Früchte unter die frische Ware schmuggelt. Bloß um einen Dämon zu bannen.
    Jedenfalls hatte sich endlich einmal Mortensens Aufdringlichkeit in Sachen des eigenes Werks gelohnt. Eine Aufdringlichkeit, die ihm selbst durchaus peinlich gewesen war. Aber er hatte sie als einen Teil seines schriftstellerischen Kampfes akzeptiert. Und ein jedes Mal, wenn er dieses Gebäude betrat, war es ihm eine Genugtuung, sich zumindest an diesem Bücherhort der Gegenwart seiner Romane sicher sein zu können. Wenn schon nicht der eines Lesers. Aber genau das schien sich an diesem Tag zu ändern.
    Mortensen ging aus seiner Deckung heraus und den Weg wieder zurück. Als er an dem lesenden Mann vorbeikam, sah er über dessen Schulter in das offene Buch hinein. Die Größe und Art der Buchstaben sowie der schmale Balken zu Beginn einer jeden Seite waren Mortensen vertraut. Nach zwei weiteren Schritten drehte er sich rasch um. Zwischenzeitlich hatte der Stuhldieb das Buch leicht angehoben, so daß Mortensen jetzt deutlich die weichselrote, glänzende Färbung erkennen konnte. Es war fraglos seine zweite Veröffentlichung: Die Lust , ein Hemd zu bügeln . Der Roman, in den er seine größten, wildesten Hoffnungen gesetzt hatte.
    Er konnte nicht länger den lesenden Mann beäugen, wollte er nicht auffallen. Und das war das letzte, was er vorhatte. Weshalb er seinen Schritt erneut aufnahm und erst in dem Moment einen beobachtenden Blick wagte, als er sich bereits auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand, zwischen Treppenhaus und Belletristik. Freilich war auf diese Entfernung nicht viel zu erkennen. In einem der umliegenden Regale jedoch – zwischen Morrison und Mulisch – mußte nun eine bedeutende Lücke klaffen, etwa so breit wie eine Doppelliterflasche Wein.
    Mortensen sah, daß der Stuhldieb immer noch in seine Lektüre vertieft war, nun jedoch um einiges entspannter wirkte. Aber eine solche Interpretation war natürlich Unsinn. Und das wußte Mortensen. Er hatte sich endlich ein wenig beruhigt und versuchte die ganze Angelegenheit mit der nötigen Sachlichkeit zu betrachten. Wozu auch ein Gefühl des Stolzes gehörte. Stolz ob der simplen Tatsache, daß sich jemand für seine Romane interessierte. Etwas derartiges konnte passieren, sogar seinen Büchern. Wahrscheinlich gab es in einer öffentlichen Bibliothek wie dieser kein einziges Buch, welches nicht nach einiger Zeit gelesen, angelesen, zumindest berührt und betrachtet worden wäre.
    Mortensen verließ den Raum und stieg die Treppen hinab ins nächste Stockwerk, wo er eine große Runde zog, vorbei an Sachbüchern.
    Seine persönliche Einteilung des dreigeschossigen Gebäudes brachte es mit sich, daß er den großen mittleren Bereich als Grabstätte begriff, die das Zentrum der Welt bildete. Darüber lag die Literatur und darunter die Hölle. Mit Hölle war der Eingangsbereich gemeint, jenes mächtige Foyer, das die Tageszeitungen beherbergte. Während in einem Seitentrakt die Kinder- und Jugendbücher untergebracht waren. Nicht nur darum empfand Mortensen diesen Ort als die Hölle, sondern auch wegen der Nähe zum eigentlichen Leben, zur Außenwelt, die wohl am deutlichsten durch die Garderobe zum Ausdruck kam. Zumindest jetzt im Winter, wenn die Mäntel und Jacken wie abgestreifte Schutzanzüge von den Haken baumelten.
    In diese ebenerdige Unterwelt tauchte Mortensen nun ein, griff nach einer Zeitung und ließ sich auf einem jener Stühle nieder, welche seitlich einer Längswand aufgereiht standen. Von hier aus hatte er die Treppe im Blick. Jetzt, kurz vor Schließung des Hauses, hatten sich drei Reihen mit Besuchern gebildet. Soweit Mortensen sehen konnte, war der Stuhldieb nicht unter ihnen. Möglich, daß er noch oben saß. Vielleicht aber hatte er längst das Gebäude verlassen. Wie auch immer, es brauchte Mortensen nicht zu
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