Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
spezielle Art, den Dingen – den guten wie den schlechten – ins Auge zu sehen, ohne deshalb gleich etwas unternehmen zu wollen.
    »Wie starb Ihr Mann?« fragte Cheng.
    »Absurd«, sagte die Freifrau. »Bei einem Autorennen. Nicht als Pilot. Als Zuschauer. Obgleich er Autorennen für idiotisch hielt. Er war als Ehrengast gekommen und als Ehrengast gestorben. Ohne auch nur zu zucken. Da bin ich sicher. Sie bleiben doch zum Kaffee, nicht wahr? Es kommen noch ein paar Freunde.«
    Cheng und Purcell blieben und lernten an diesem Nachmittag einige Freidenker kennen, ohne eigentlich zu erfahren, worin genau deren Haltung bestand. Aber vielleicht resultiert genau daraus alle Freiheit, nämlich aufrecht zu stehen und aufrecht zu sitzen, ohne sich dabei an einer Haltung anklammern zu müssen. Ja, es wurde ein schöner Nachmittag. Und ein schöner Abend. Und als man schließlich die Villa der Freifrau verließ, packte sich Cheng seinen Hund unter den Arm und trug ihn nach draußen in die Kälte, wo ein silberfarbener Fiat wartete. Lauscher gab keinen Ton von sich. Er blieb der Hund, der er war – ohne zu zucken.

Epilog: Ein Tag im Sommer unter Toten
    Seine Biederkeit trotzte jedem Sturme.
    (Inschrift auf einem der Grabsteine
    des Hoppenlau-Friedhofs in Stuttgart)
     
    Markus Cheng saß auf einer morschen, vom Moos fleckigen Holzbank. Alles an diesem Ort besaß etwas Morsches und Moosiges. Die dunkelgrünen, aus Metallgitter gefertigten neueren Bänke vielleicht ausgenommen, auf denen zu sitzen Cheng jedoch vermied. Aus Prinzip wählte er stets eine von den wenigen Holzbänken aus, als ginge es hier um die Frage nach neuer oder alter Rechtschreibung. Er bevorzugte es, seinen Hintern auf einem Material niederzulassen, das sich geschichtsträchtig anfühlte.
    Auch die Grabsteine schienen diese bröckelnde, kuchenartige Konsistenz von vermodertem Holz zu besitzen. Dennoch war die Szenerie alles andere als morbid. Die Leute, die auf diesem Friedhof lagen, waren zu lange tot, um der Nachwelt noch etwas zu bedeuten. Deshalb fehlten die Blumen und die Angehörigen, welche ja erst das Morbide hervorrufen. Ohnehin fand Cheng, daß sich Blumen nicht gehörten. Schon gar nicht an einem Ort der Ruhe und Andacht. Und gerade darum hielt er sich so gerne auf dem Hoppenlau-Friedhof auf, dem letzten historischen Totenacker der Stadt, der jetzt nur noch als Parkanlage fungierte und wenige Spaziergänger und Touristen anzog sowie ein paar Leute, denen dieser Ort als Abkürzung oder als Umschlagplatz wofür auch immer diente.
    Es war ein prächtiger Sommertag. Kein Dunst trübte die Luft. Die Hitze fiel zwar beträchtlich aus, besaß aber etwas von einer trockenen Ohrfeige, die von einer ebenso trockenen Hand ausging. Und das fühlte sich nun viel besser an als so ein feuchter Schlag.
    In den Nachrichten hatte man den alten Leuten geraten, sich wenig zu bewegen und im Schatten zu bleiben. Doch daran schienen sich fast alle in der Stadt zu halten. Auch Cheng. Auch Lauscher. Aber letzterer gehörte ja tatsächlich zu den älteren Semestern.
    Cheng trug trotz der Hitze seinen Anzug, und das, obwohl er gehörig schwitzte. Aber ohne dieses Kleidungsstück war er nicht der, der er zu sein dachte, hätte sich wie jemand gefühlt, den man im Spital oder sonstwo vertauscht hatte. Vor sich, auf dem Pult der übereinandergeschlagenen Beine, befand sich ein kleines, schmales Buch. Es handelte sich um das Exemplar einer längst vergriffenen Publikation: »Böse Erinnerungen eines Detektivs und das daraus folgende Handbuch«, verfaßt von Lino da Casia (1928-1981). Cheng hatte es vor einiger Zeit aus der Stadtbücherei entliehen und später vorgegeben, es verloren zu haben. Einfach aus dem Grund, da er keinen Band auf dem freien Markt hatte auftreiben können. Daß sein Vorgehen unkorrekt war, nahm er gelassen hin. Reuelos. Er war überzeugt davon, daß er wie kaum ein Mensch auf dieser Welt ein Anrecht auf dieses Werk besaß, ein Anrecht, jederzeit darin blättern zu können.
    Lino da Casia hatte es Anfang der Sechzigerjahre geschrieben. Er war bis dahin tatsächlich als privater Ermittler tätig gewesen und hatte im Zuge seiner Aufträge Katastrophen erlebt, die Cheng als gleichsam grandios und fürchterlich empfand und die ihn durchaus an eigene Unfälle und Mißgeschicke erinnerten. All diese fatalen Ereignisse wurden im ersten Teil der Schrift schlaglichtartig festgehalten, um dann daraus jenes Handbuch zu entwickeln, das im Titel angekündigt war.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher