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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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Meine Abenteuer in Afrika
    RÜCKKEHR NACH AFRIKA
    Manchmal ist meine Erinnerung wie ein kleines Kind, das sich hinter der Gardine versteckt und laut ruft: Ich bin nicht mehr da!
    Und unten gucken die Füßchen raus ... Dann reißt das Kind blitzschnell den Vorhang zur Seite und schreit: Da bin ich wieder!
    Mit ausgestreckten Armen stürmt es los und rennt mich mit seinem Schwung fast um.
    Mit dieser Heftigkeit brach meine Erinnerung hinter dem grauen Vorhang des Vergessens hervor, als Peter eines Tages mit der Post ins Haus kam. Mein Mann sagte mit einem Tonfall, der nebensächlich klingen sollte, aus dem ich seine Neugier aber deutlich heraushörte: „Da ist ein Brief von einem Abiola. Aus Lagos, Afrika.“
    Obwohl der Brief nur aus einer handgeschriebenen Seite bestand, las ich darin stundenlang wie in einem Roman, den man nicht aus der Hand legen kann, bevor man das Ende kennt. Ich sah Afrika vor mir, mit seinen endlosen Weiten voller schlummernder Energie, dem tiefblauen Himmel, der nirgendwo weiter und höher zu sein scheint. Ich hörte die vielstimmige Sinfonie der Natur, das Zirpen der Grillen, den Ruf des Uhus, das Quaken der Frösche und das Brüllen der Affen im Regenwald. Das leise Klicken, das entsteht, wenn der Wind die Palmblätter sanft gegeneinanderschlägt. Ich atmete die feuchte Luft ein, die nach reifen Früchten und lieblichen Orchideen duftet. Ich hörte den Chor der Stimmen auf den Märkten und Basaren, das Schreien der Kinder und das befreite Lachen der Frauen.
    Und dann sah ich die Menschen, die mir damals nahegestanden hatten, wieder vor mir, so deutlich, als wären nicht inzwischen Jahre vergangen - Abiola, Yemi und die Kinder, Mila, die Zauberin, die mir eine Freundin geworden war. Und Victor, den Prinzen aus einer fernen Welt, mit dem ich in der Wüste unter einem Baldachin aus Sternen gesessen hatte. Ich hörte die Worte, die er zu mir sagte, das Versprechen seiner Liebe, das einzulösen ihm versagt blieb.
    Dann vermischten sich die verträumt-romantischen Bilder mit den schrecklichen Szenen eines gefährlichen Abschieds. Plötzlich waren da Sunnys Wächter, die mich packten und auf die Ladefläche des Pick-ups warfen, wo ich verzweifelt nach Halt suchte. Die Luft war durchdrungen von feinem, rotem Sand, den der Wüstensturm Harmattan aufgewirbelt hatte. Ein Schuß fiel, dann noch einer, Frauen kreischten hysterisch. Mit zitternden Knien kletterte ich vom Wagen. Akpoviroro, dessen Gesicht von Tränen, Staub, Dreck und Wut zu einer unheimlichen Maske verzerrt war, glotzte mich an. Er richtete das Gewehr auf mich.
    „Stirb, weiße Hexe!“ stieß er hervor.
    Abiolas Brief war die Einladung zu seiner Hochzeit. Er fragte höflich, ob ich seine vier Mädchen wiedersehen und seine zukünftige Frau Emeta kennenlernen wolle. Und ob ich nicht noch einmal, wenigstens für kurze Zeit, nach Afrika zurückkehren könnte ...
    Mochte mir in Nigeria auch Schreckliches zugestoßen sein, so brannte plötzlich tief in mir doch wieder das Feuer einer großen Sehnsucht, von einem Funken in Brand gesetzt wie das ausgedörrte Gras der Savanne. So wenig, wie ein Glas Wasser den Flächenbrand zu löschen vermag, so wenig konnte sich meine wieder geweckte Leidenschaft für Afrika mit bloßen Erinnerungen und einem Brief begnügen. Ja, ich wollte zurückkehren nach Nigeria, um Peter teilhaben zu lassen an meiner Leidenschaft für dieses Land. Damit wir beide über die Brücke gehen konnten, die das Gestern meiner Vergangenheit mit dem Heute unserer Gegenwart verbindet.
    Peter hat einmal gesagt, daß ich mein Leben mit einer Intensität führe, die für mehrere Frauenleben reiche. Der Grund dafür ist meine Neugier. Als ich jenen Mann traf, der mir die Tür zu dem unbekannten Reich namens Afrika aufstieß, war meine Naivität allerdings noch größer als meine Neugier: Ich war erst 19. Diese junge Liebe verging. Obwohl ich bereits sechs Jahre mit John, dem Mann aus Nigeria, verheiratet war, flog ich erst in seine Heimat, als wir schon in Scheidung lebten. In Afrika lernte ich dann Victor lieben, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Aber das Schicksal riß diesen Mann mit solch einer Gewalt aus meinen Armen, daß ich geglaubt hatte, die unbewältigte Erinnerung verdrängen zu müssen, um weiterleben zu können.
    Jetzt war ich endlich bereit, mich meinen Erinnerungen zu stellen.
    Meine Schwägerin übernahm unsere Kinder und das Haus in Deutschland. Zusammen mit Peter flog ich nach Westafrika, in
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