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Gefaehrliche Kaninchen

Gefaehrliche Kaninchen

Titel: Gefaehrliche Kaninchen
Autoren: Kirsten John
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1. Kapitel

    Fassungslos sieht Max auf seinen Teller. Er hat ja schon viel Scheußliches gegessen, aber das geht zu weit!
    »Mein Essen hat Augen«, sagt er.
    »Mmh«, macht seine Mutter. Sie hat wie immer ein Buch neben sich liegen, das sie mit der einen Hand beschwert, während sie in der anderen die Gabel hält.
    »Und Beine«, sagt Max.
    »Jaja«, kommt es von seiner Mutter. Sie blättert mit dem Daumen eine Seite um.
    »Und so eine Art Fühler«, ergänzt Max.
    »Mmh«, macht seine Mutter wieder. Sie kräuselt die Stirn wie immer, wenn sie sich konzentriert.
    »Und die Nachbarin wurde gerade von Außerirdischen entführt«, sagt er probeweise.
    »Aha«, sagt seine Mutter.
    Max seufzt. Er stupst das orangefarbene Ding auf dem Teller mit seiner Gabel an, doch es scheint tot zu sein. Das ist doch schon mal was. Aber es guckt. Wie soll man etwas essen, das guckt? Und noch dazu einen so dicken Panzer hat? Mit der Gabel klopft Max auf dem orangefarbenen Ding herum. Es macht ein hohles Geräusch.
    Endlich schaut seine Mutter auf. »Das ist ein Hummer, Max«, sagt sie.
    »Klar«, sagt Max. »Hab ich gewusst.« Obwohl das nicht stimmt. Er hat noch nie zuvor einen Hummer gesehen.
    »Man isst nur den Schwanz«, erklärt seine Mutter.
    Max dreht den Hummer so, dass der von ihm wegsieht, und sticht mit der Gabel in den Schwanz. Das heißt, er versucht zu stechen, denn der Schwanz ist genauso hart wie der Rest von dem Tier.
    Max’ Mutter seufzt. Sie legt das Buch aufgeschlagen mit dem Rücken nach oben neben sich und greift sich ihren Hummer. »So, siehst du? Du musst den Schwanz abdrehen. Und dann aufbrechen. Und dann«, sie prokelt mit einer Gabel ein Stück weißes Fleisch hervor, »kannst du das hier essen.«
    Max weiß nicht, ob er das überhaupt möchte.
    »Und die Beine«, fährt seine Mutter fort, »die kann man auslutschen.«
    Wie bitte? »Ich glaube, ich mag keinen Hummer«, sagt Max.
    »Du hast ihn doch noch gar nicht probiert.«
    Max stupst sein Essen an. »Er will sich auch nicht so einfach probieren lassen.«
    »Ach Max«, seufzt seine Mutter.
    Es ist dieses »Muss-er-denn-alles-immer-so-kompliziert-machen«-Seufzen, das Max zur Genüge kennt. Er findet allerdings, dass der Hummer die Sache kompliziert macht und nicht er! »Warum gibt es heute überhaupt Hummer?«, will er wissen.
    »Sind übrig geblieben. Von der Feier.«
    Gestern waren seine Eltern lange aus. Sie arbeiten beide an der Universität, seine Mutter als Biologin, sein Vater ist Professor für Recht. Gestern haben sie in der Universität mit den Rechtswissenschaftlern gefeiert.
    Kein Wunder, denkt Max sich, dass niemand die Hummer angerührt hat. Die können wahrscheinlich nur Biologen knacken. Bei deren Party war nur ein Haufen Käsebrötchen übrig geblieben. Die hatten am nächsten Morgen zwar nass und pappig geschmeckt, waren aber wenigstens genießbar gewesen.
    »Hummer«, sagt seine Mutter, während sie das weißliche Fleisch auf ihrer Gabel hin und her dreht, »sind nachtaktiv und aggressive Einzelgänger. Ein Weibchen kann bis zu hunderttausend Eier legen, und die Tiere können zwischen sechzig und hundert Jahre alt werden.«
    Max hasst es, wenn seine Mutter ihm Vorträge über sein Essen hält, als sei es noch lebendig. Bei seinem letzten Wiener Schnitzel ist er in Tränen ausgebrochen, nachdem seine Mutter ihm das kurze Leben eines Kalbs vor Augen geführt hat, allerdings war er damals auch noch etwas jünger gewesen. Seit er über Wiener Schnitzel Bescheid weiß, isst er kein Fleisch mehr und Fische nicht im Ganzen, sondern nur noch als Fischstäbchen. Einen Hummer hatte er noch nie. »Gibt es eigentlich Hummerstäbchen?«
    Seine Mutter sieht ihn verständnislos an. »Hummer sind sehr teuer«, antwortet sie, als würde das etwas erklären. Sie steckt sich das weiße Fleisch in den Mund und kaut darauf herum. »Du musst mutiger werden, Max«, sagt sie, nachdem sie heruntergeschluckt hat. »Auch mal was riskieren.«
    Das sagt sie dauernd, dass er mutiger werden und was riskieren soll. Sie nennt das: »seinen Forschergeist entwickeln«. Dazu reicht es nicht, auf den Birnbaum im Garten zu klettern, einen halben Handstand oder acht Bahnen schwimmen zu können: Das gilt in ihren Augen nicht.
    »Ist es mutig, einen Hummer zu essen?«
    »Nein, das meine ich nicht. Ich meine, du solltest mehr Forschergeist entwickeln. Ein Wissenschaftler sucht immer die Begegnung mit dem Unbekannten - und du willst doch auch mal Wissenschaftler werden?«
    Das
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