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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern
Autoren: Guido Dieckmann
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    Kapitel 1
    Oudenaarde in Flandern, Juli 1582
    Dicht gedrängt standen die Menschen vor ihrem Rathaus und sahen zu, wie eine Gruppe Gefangener durch die engen Gassen auf den Grote Markt getrieben wurde. Einigen der Männer und Frauen hatte man die Hände gefesselt, unsicher stapften sie durch den Matsch und rutschten auf den glatten Pflastersteinen aus. In ihrem Rücken blitzte der Stahl spanischer Lanzen auf, mit denen die Kriegsknechte die Schritte der Gefangenen lenkten.
    Die ganze Stadt trug Ketten. Alle Tore waren besetzt, über die Mauern liefen fremde Soldaten. Über Nacht waren die Bürger der alten flämischen Tuchweberstadt Oudenaarde zu Gefangenen geworden, die voller Angst einem ungewissen Schicksal entgegensahen. Einige von ihnen trugen Bündel mit Habseligkeiten bei sich, weil sie fürchteten, aus der Stadt vertrieben zu werden, aber die meisten hatten aus Resignation oder Angst ihren Besitz zurückgelassen. Während sich der Gefangenenzug auf das Rathaus zu bewegte, wurde es immer finsterer. Es schüttete bereits seit dem Morgengrauen, der Himmel war bedeckt. Das Laub der Bäume, die vor den Arkaden der hohen Bürgerhäuser standen, rauschte, ansonsten war nicht viel zu hören. Dort, wo normalerweise das Leben pulsierte, wo die Leute Handel trieben oder in ihren Werkstätten beschäftigt waren, war an diesem Tag alles verwaist. Man hatte den Eindruck, als lauere ein Raubtier, das nur darauf wartete, sich auf alles zu stürzen, was sich an jenem trübseligen Vormittag in Oudenaarde regte.
    Die Stadt schien den Atem anzuhalten.
    Stunden vergingen. Als die Rathaustür endlich aufging, trat eine Handvoll Spanier, die meisten von ihnen im Harnisch, ins Freie. Kurz darauf wurde ein Mann grob über die Schwelle gestoßen. Es handelte sich um Vitus Osterlamm, den abgesetzten Bürgermeister. Während man ihn für gewöhnlich im reichverzierten Brokatmantel durch die Stadt stolzieren sah, trug er jetzt einen einfachen Schnürkittel aus grobem Leinen. Die goldene Amtskette mit dem Siegel der Stadt schleifte hinter ihm her; offensichtlich hatte der Statthalter ihm nicht erlaubt, sie noch einmal anzulegen. Auch eine Kopfbedeckung war ihm verboten worden. Wind und Regen fuhren durch sein schütteres, ergrautes Haar, wirbelten es auf wie das Gefieder einer Krähe. In dem Blick, mit dem er die Menge nach Verbündeten absuchte, lag jedoch noch immer ein Ausdruck von Stolz. Er schien nicht wahrhaben zu wollen, dass sein Amt unwiederbringlich verloren war. Nicht einmal, als er von bewaffneten Söldnern auf ein überdachtes Podest gezerrt wurde, ließ er davon ab, den Statthalter und den König mit Schimpfworten zu belegen. Die Bürger hielten erschrocken den Atem an. Wie konnte er es wagen, in seiner Lage so unvorsichtig zu sein? Hatte er völlig den Verstand verloren? Die Männer im Gefolge des Statthalters lachten über den Tobenden, sie hielten ihn für einen Hanswurst, einen Possenreißer. Erst als der Bürgermeister anfing, wild um sich zu schlagen, zog einer der Waffenknechte seine Peitsche durch Osterlamms Gesicht. Osterlamm schrie auf, Blut spritzte ihm über die Wangen. Dann verstummte er abrupt.
    Herzog Alessandro Farnese, der Statthalter des Königs, strahlte neben dem Bürgermeister Ehrfurcht aus. Farnese ging auf die vierzig zu, hatte sich aber Haltung und Auftreten eines jungen Mannes bewahrt. Er war hochgewachsen und stark, weder sein Haupt- noch sein Barthaar wiesen auch nur im Ansatz graue Stellen auf. In seinen schwarzen Augen lag ein Ausdruck von Schläue, der verkniffene Zug um den Mund verlieh ihm etwas Männliches, Entschlossenes. Mit strenger Miene blickte er von dem Podest auf die verängstigten Männer, Frauen und Kinder hinab, die zu seinen Füßen kauerten und darauf warteten, dass er das Wort an sie richtete. Farnese stand im Ruf, ein harter, unerbittlicher Soldat zu sein, Besiegten aber Achtung zu erweisen, wenn er sie der Milde für würdig hielt. Sein Verhältnis zu König Philipp II. von Spanien, seinem Onkel, war bis zu Beginn seines Feldzugs unterkühlt gewesen, doch Farnese war klug genug einzusehen, dass er Spanien brauchte, um seinen Widersacher zu besiegen. Prinz Wilhelm von Oranien hatte sich ein Jahr zuvor zum Statthalter der nördlichen Provinzen der Niederlande erhoben. Da Philipp II. Wert darauf legte, dass Farnese alle Städte unterwarf, die es wagten, dem Habsburger den Gehorsam zu verweigern, war davon auszugehen, dass er Oudenaarde nicht ungeschoren
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