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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten
Autoren: Thomas Pregel
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Erfahrung mit Karsten? War er die Quelle für alles Übel, das mir seither widerfahren war? Konnte ich ihn für mein Liebesscheitern mit Klaus und all den anderen verantwortlich machen?
    Nein. Denn ich musste ihn erst brechen, ihm meinen Willen aufzwingen, damit er auf diese Art mit mir schlief. Ohne mein Beharren aufs Ficken, das damals schon mindestens ebenso sehr auf Beleidigtsein und den Wunsch, mich an ihm für sein störrisches, verweigerndes Verhalten zu rächen, wie auf sexuelles Verlangen, wäre es niemals dazu gekommen. Dann hätte Karsten mich geschützt, vor sich und mehr noch vor mir selbst. Egal, ob er damals schon irgendetwas wusste oder nur ahnte oder nicht wollte, weil er sich dann zu schwul oder so etwas vorgekommen wäre. Ihm allein jedenfalls konnte ich nicht die Schuld aufbürden an dem, was zwischen uns passierte, ich trug mindestens die Hälfte davon. Eine Hälfte, die ich nun kaltblütig an Klaus hatte weiterreichen wollen, und zwar, obwohl ich inzwischen das böse Ende der Karsten-Geschichte kannte. Eben durch meine Mutter. Aber einmal mehr erwies ich mich als zu schwach, es richtig zu machen und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, lieber wählte ich den auf den ersten Blick einfacheren Weg.
    Und so, anstatt mich von dem Druck in tausend Stücke zerbrechen und anschließend von Klaus heilsam wieder zusammensetzen zu lassen, wenn auch eben äußerlich nicht mehr ganz so perfekt wie zuvor, ließ ich mich von ihm nur verdrängen. Ich bestand den Test nicht, der noch vor dem anderen Test hätte kommen sollen, den ich erst recht verweigerte.
    Meine Mutter erzählte es mir voller Sorge, kaum dass ich nach Hamburg gezogen war, sobald sie selbst die böse Nachricht erfahren hatte, und es erfüllte mich mit einem solch schmerzvollen Hass, auf sie, auf mich, auf alle, die mich vor diesem Unglück nicht bewahrt hatten, dass ich fortan glaubte, ihn in mir nur noch aushalten zu können, wenn ich gegen mich und alle anderen die größte Rücksichtslosigkeit walten ließ.
    Ich war nie geliebt worden, redete ich mir ein, alle hatten mir ständig nur was vorgegaukelt, mich benutzt, und nur, wenn ich mit allen anderen ebenso verfuhr, konnte ich diese krasse, diese brutale Ungerechtigkeit wieder ausgleichen, ihnen allen ebenbürtig sein. Der kleine Prinz wurde endgültig zum Tyrannen – auch wenn ich mir Klaus gegenüber einredete, ihn nur deshalb verlassen zu haben, um ihn so vor noch größerem Übel zu schützen, anstatt ihn wie all die anderen auch mit mir in den Orkus zu reißen. So sah meine Liebe für ihn aus.
    Ich wohnte gerade mal zwei Wochen in Hamburg, und Klaus und Erfolg in jeder Hinsicht lagen noch unerkennbar hinter dem Horizont verborgen, als meine Mutter ganz unverhofft und unerwünscht anrief und sich auch nicht durch Ignorieren abwimmeln ließ. Sie versuchte es so lange, bis ich endlich ans Telefon ging, und war dann so atemlos vor Schreck, dass sie erst gar kein Wort über die Lippen brachte. Was auch immer es war, das sie derart in Aufruhr versetzte, ich hielt es bloß für einen typischen weiblichen Hysterieanfall, bedingt durch die Wechseljahre oder so.
    »Mama, was willst du?«, raunzte ich sie mehr oder weniger an.
    Sie brabbelte unverständliches Zeug wie ein Baby, ich dachte spontan, sie hätte wohl gerade einen Schlaganfall erlitten, der ihr Sprachzentrum zertrümmert haben müsste. Eine Vorstellung, die ich in meiner gereizten Stimmung im ersten Moment recht amüsant fand. Aber sie hörte gar nicht mehr auf zu stottern, und nach und nach glaubte ich, einzelne Wörter zu verstehen, auch wenn die aus ihrem Mund keinen Sinn zu machen schienen. Von Krankheit und Tod war die Rede und von irgendeiner Frau Hinrichsen. Woher kannte ich diesen Namen nur?
    »Mein Junge, mein Junge!«, sagte sie da plötzlich klar und deutlich. »Die Frau deines alten Tennistrainers ist tot.«
    Ich kannte doch nur ihren Mann oder hatte ihn gekannt, fiel es mir da wieder ein, sie aber hatte ich meines Wissens nach niemals kennengelernt. Für mich war sie immer nur die böse Hure im Hintergrund gewesen, die meinem Karsten ein paar Kinder angedreht und ihn so an sich gefesselt hatte, dass er fortan kein freies Leben mehr zu führen imstande war. Eine Zeit lang hatte ich sie gehasst, aber selbst das war inzwischen lange vorbei.
    »Mama, warum erzählst du mir das?«, schnitt ich mit möglichst scharfer Stimme durch das Gejammer meiner Mutter, sie gleichsam zur Ordnung rufend. »Was hab ich bitte mit der
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