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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten
Autoren: Thomas Pregel
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ja, das liegt doch nahe …«
    »Das ist doch alles nur Scheiße!«, brüllte ich und knallte den Hörer auf die Gabel.
    Das bewies nichts, rein gar nichts. Und ich duschte und spülte mich und zog Klamotten an, die leicht wieder auszuziehen waren, und ging den endgültigen Beweis antreten.
    Und das ist der Stand der Dinge, bis heute.

KAPITEL 10
    Mein Zug fährt in den Ostbahnhof ein und hält, ich steige aus und haste direkt zum Taxistand. Auf öffentliche Verkehrsmittel, auf Mitmenschen habe ich jetzt absolut keine Lust. Meine Nase läuft, und mein Hals kratzt, mir ist ganz elend zumute. Ich will nur noch so schnell wie möglich nach Hause, mich in meiner Wohnung, am besten in meinem Atelier zwischen den ganzen frisch angebrochenen neuen Arbeiten verkriechen und den nächsten Tag abwarten. Ich nenne dem Fahrer die Adresse und klappe auf dem Rücksitz zusammen, während er den ersten Gang einlegt und Gas gibt.
    Der Chauffeur entpuppt sich als übler Schwätzer mit noch üblerer Berliner Schnauze, zu laut, zu ungebildet, zu impertinent. Seiner völligen Distanzlosigkeit versuche ich mich durch die geistige Flucht in ferne Welten zu entziehen, komme aber nicht weit, bleibe zuerst an meinem erschreckend bleichen Spiegelbild in der Seitenscheibe hängen – als würde mich meine eigene Totenmaske anstarren! – dann an den trostlosen Berliner Häuserschluchten und Baustellenfeldern, in denen Rohbauten und Baukräne wie unverwüstliches Unkraut aus dem verdorbenen Boden wachsen. Die einzige Frucht, die sie hervorbringen, ist Sichtbeton, grau und kalt und schmucklos, der nach und nach die ganze Stadt in eine graue, fantasielose Einöde verwandeln wird. Die Menschen wirken klein und eingeschüchtert vor den leblosen Fassaden, wie zum Verhungern verdammte Insekten in dieser sterilen Umwelt. Dazu kommt dann noch der Regen, der dem allumfassenden Grau im Verein mit den Straßenlaternen etwas Schmieriges, Schleimiges verleiht, was wirkt, als würde es gleich herunter- und auf die Menschen tropfen und sie verschlingen. Ich glaube, allein aus Angst davor hasten die wenigen Passanten draußen so sehr über die Bürgersteige, sie wollen nicht gefressen werden.
    Derweil quatscht mein Taxifahrer munter vor sich hin, er will gar nicht mit mir reden, es reicht ihm schon, dass jemand da ist, der ebenfalls seine Stimme hört. So fühlt er sich wohl weniger allein. Trotzdem hätte ich ihn gern alleingelassen, an mehr als nur einer Ampel überkommt mich der Impuls, einfach die Tür aufzureißen und aus dem Wagen zu springen. Aber da halten wir schon vor meiner Wohnung, die Fahrt hat keine zehn Minuten gedauert.
    Erleichtert zahle ich die Rechnung und schlage noch ein paar Euro als Trinkgeld obendrauf, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ich renne die wenigen Meter bis zur Haustür und stecke erleichtert den Schlüssel ins Schloss. Die Tür öffnet sich, mir schlägt das ewig frische Zitronenaroma des Scheuermittels entgegen, mit dem scheinbar täglich das herrschaftlich ganz in Marmor gehaltene Foyer gereinigt wird – und erleichtert nehme ich ein paar tiefe Züge. Mit dem Fahrstuhl fahre ich ganz nach oben, wo es seit der Gebäudesanierung, bei der aus diesem alten Bürgerhaus, das noch die Einschusslöcher der Roten Armee wie Pockennarben getragen hatte, eine richtig feine und überteuerte Adresse gemacht worden ist, nur ein einziges Penthouse gibt: mein Penthouse. Der Fahrstuhl hält, ich zücke einen zweiten Schlüssel, mit dem allein sich hier oben seine Türen öffnen lassen, und stehe endlich wieder in meiner Wohnung. Ich trete mir noch im Eingangsbereich die Schuhe von den Füßen, laufe sockfuß ins geräumige Wohnzimmer, wo ich achtlos meine Tasche und Jacke zu Boden und mich selbst auf das breite und tiefe Ledersofa im Ranch-Stil fallen lasse.
    Endlich wieder zu Hause. Ich schließe die Augen.
    Nach Minuten – habe ich geschlafen? – öffne ich sie erst wieder. Es ist sehr warm in meiner Wohnung, die Heizung läuft auf Hochtouren. In meiner Eile gestern Morgen habe ich nicht nur meine Zahnbürste vergessen, sondern auch die Heizung nicht heruntergedreht. Gestern ist das erst gewesen, erst gestern bin ich nach Föhr gefahren, und jetzt schon wieder zurück. Wie blöd kann man eigentlich sein?! Aber hier zu sein, fühlt sich zumindest richtiger an, als dort zu sein. Ich versinke noch ein Stückchen tiefer in meiner Couch, meine Glieder schmerzen etwas.
    Als ich so meinen Blick durch den Dämmer meiner Wohnung schweifen
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