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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten
Autoren: Thomas Pregel
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kann. Sie hat mir Georg genommen und mir den Großteil meiner Freunde einfach weggefressen. Ich werde nie wieder ein Risiko eingehen.«
    »Und das ist dein letztes Wort?«
    »Ja.«
    »Auch wenn ich mich morgen noch einmal testen ließe und das Ergebnis wieder negativ ausfiele? Auch dann?«
    »Ja.«
    Mit einer abrupten Bewegung stand ich auf. »Ich glaube langsam, du liebst mich gar nicht!«
    »Was soll das denn jetzt?«
    Er kam im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr mit.
    »Du gehst?«
    »Ja. Ich wünsch dir eine gute Nacht.«
    Während ich mich anzog, würdigte ich ihn keines einzigen Blickes mehr – und suhlte mich in einer Freude, die so moralisch abgründig war wie falsch. Ich war auch damals schon ein Meister darin, mir etwas vorzumachen, und so war ich ein Stück weit überzeugt davon, im Recht zu sein, er verhielte sich hochgradig lächerlich, wie eine Mimose, eine Aids-Mimose. Schon ganz die gekränkte Königin kam ich in meiner Wohnung an, schäumend vor Wut und einen fluchenden Monolog gegen den Schwachsinn der Welt führend, und konnte einfach keine Ruhe finden. Stattdessen umkreiste ich nur das Telefon und erwartete sekündlich seinen Anruf, seine schluchzende Bitte um Verzeihung. Doch Klaus rief nicht an, das Gift des Liebesentzugs brauchte bei ihm länger, um wirksam zu werden. Dafür fiel seine Wirkung dann umso schöner, umfassender aus – und fiel so zurück auf mich.
    Wie sich herausstellte, sollten wir beide in dieser Nacht keinen Schlaf bekommen haben, und trotzdem sollte Klaus sie besser überstanden haben als ich. Ich war am nächsten Morgen, als es an meiner Haustür klingelte, einfach nur mürbe von der Nacht, und alles, was mich aufrecht hielt, war meine Bockigkeit, nicht kleinbeigeben zu wollen. Klaus dagegen hatte nachgedacht und eine Entscheidung getroffen, die ihm Klarheit und neue Kraft einbrachte und das gute Gefühl, es richtig zu machen. Mit einem Lächeln, in dem sich Zerknirschung, es falsch angepackt zu haben, und die Liebe, die jedes Hindernis überwindet, die Waage hielten, stand er vor meiner Tür mit einem großen Strauß roter Rosen.
    »Es tut mir so leid«, sagte er, noch bevor ich ihn hereinbitten konnte, »das ist gestern Abend alles irgendwie falsch rübergekommen. Ich liebe dich, und ich möchte mit dir zusammen sein.«
    Ich bat ihn wortlos herein, und kaum war er eingetreten, breitete er auch schon seinen Plan, wie das mit uns in Zukunft funktionieren sollte, vor mir aus.
    »Wenn wir uns regelmäßig testen lassen und diese Tests immer negativ ausfallen, dann können wir in Situationen wie gestern auch gerne ohne Gummi miteinander schlafen. Aber nur dann. Anders kann ich es nicht, das musst du einfach verstehen. Aber dann gerne. Dafür liebe ich dich zu sehr.«
    Er sah mich an, plötzlich so unsicher dreinschauend wie ein Junge, der überhaupt zum ersten Mal in seinem Leben einem anderen seine Liebe gesteht, und wartete darauf, was ich von seinem Kompromissvorschlag hielt.
    »Was sagst du dazu? Kannst du das so aushalten?«
    Mir brach das Herz.
    »Ja«, sagte ich und schwor mir, Klaus danach nie wieder anzulügen.
    Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, und obwohl das Verlangen, endlich reinen Tisch zu machen, groß war, war es gerade die Aussicht, dass Klaus mir mit großer Wahrscheinlichkeit sogar alle meine Lügen verzeihen würde, die mich davor zurückschrecken ließ. Die Echtheit seiner Liebe schüchterte mich plötzlich ein, so etwas hatte ich bis dato noch nie erlebt, nur im Traum für möglich gehalten – und ließ mich am Echtheitsgehalt meiner eigenen Liebe für Klaus zweifeln. Schlimmer noch, ich war mir plötzlich sicher, ihn gar nicht wirklich geliebt, sondern höchstens Verlangen nach ihm, nach seinem Fleisch empfunden zu haben. Wie sonst wäre es möglich, dass ich nicht fähig war, reinen Tisch für ihn zu machen, und stattdessen von ihm das größtmögliche Opfer verlangte, nämlich dass er für mich alle seine Prinzipien über den Haufen schmeißen und mich ungeschützt in mein Seuchenloch vögeln sollte.
    Wie damals Karsten. Karsten und ich in Heide, als ich die letzte Barriere zwischen ihm und mir einriss und seine Gegenwehr allzu schnell erlahmte. Als wir endlich das taten, was er mir so lange verwehrt hatte. Als ich es mir holte.
    Karsten. Den ich liebte und der mich nicht lieben konnte, wohingegen Klaus mich mit jeder Faser seines Wesens liebte, während ich ihn nicht richtig, nicht aufrichtig lieben konnte. Vielleicht sogar wegen der
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