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v204525

v204525

Titel: v204525
Autoren: Jean Fellber
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1. Kapitel
    Timbuktu war weit weg und der Freund, den ich dort hatte treffen wollen, schon lange tot. Ich beschloss, trotzdem wie ein Zugvogel Richtung Süden zu ziehen. Ein Freund aus Barcelona wies mich auf eine Stelle in einem Museum in Andalusien hin. Sie sei etwas seltsam, aber gerade deshalb wie für mich gemacht. Ich schickte eine E-Mail und vereinbarte mit dem Leiter des Museums – Julio Cameron – einen Termin. Danach buchte ich eine Flugkarte und verstaute mein Hab und Gut in einem Überseekoffer, den ich bei Freunden unterstellte. Mein Reisegepäck beschränkte sich auf eine große Tasche mit einigen Anziehsachen, eine gelbe Zahnbürste, Zahnpaste, Ohropax, Deoroller und zwei Bücher über Timbuktu.
    An einem Freitag im Juli kam ich an und sah zum ersten Mal das würfelförmige Museum am Meer, in dem ich vielleicht arbeiten würde. Das Gebäude war weiß, fensterlos und glänzte in der Sonne. Die Tür stand offen und ich schaute hinein. Das Museum bestand lediglich aus einem großen Raum mit gemauerten Regalen, auf denen kleine, durchsichtige Flaschen standen, die jeweils mit einem einzelnen Wort beschriftet und mit Flüssigkeit gefüllt waren. In der Mitte des Raumes stand ein großer, weiß lackierter Holztisch, um ihn herum sechs Stühle. In einer Lücke in den Regalen summte leise ein Kühlschrank, an der Decke hingen an Schienen befestigt Scheinwerfer, die ihr Licht wie ein Netz auswarfen. Die Flüssigkeiten leuchteten in intensiven Farben. Manche wirkten wie flüssige Edelsteine, Smaragde, Rubine und Amethyste, andere wie durchsichtige Blüten und Früchte, ich sah das Rot von Wassermelonen, Himbeeren, Granatapfelkernen und Kirschen.
    »Ich begrüße Sie, Herr André«, sagte der ältere, drahtige Mann, der aufgestanden war und mich nun an der Tür empfing. Sein Mund schnappte wie das Maul eines Fisches, der, an Land gezogen, langsam verendet.
    »Julio Camarón?«
    Er nickte kurz und reichte mir die Hand. »Julio reicht. Wenn ich meinen Nachnamen höre, schaue ich mich um, ob noch jemand neben mir steht.« Er lachte laut. »Wie wollen Sie genannt werden?«
    »André. Als Vor- oder Nachname, das ist mir egal.«
    »Gut, also André André. Es freut mich, dass Sie die Stelle annehmen wollen. Man trifft selten einen bekannten Schriftsteller.«
    »Entschuldigen Sie, ich bin kein Schriftsteller, ich habe lediglich als Jugendlicher Gedichte geschrieben.«
    »Wozu?«
    Die Frage erstaunte mich. »Um Mädchen zu beeindrucken«, antwortete ich.
    »Und hatten Sie Erfolg?«
    »Nein.«
    »Sie hätten durchhalten müssen. Kommen Sie rein. Mögen Sie Limonade oder Rum?«
    »Limonade, bitte.«
    »Sie sind tatsächlich kein Schriftsteller.« Er lachte wieder und holte zwei Gläser, eine Flasche Rum und eine große Flasche Limonade aus dem Kühlschrank. Wir setzten uns an den Tisch.
    »Es ist eine einfache Arbeit«, sagte er, als er die Gläser füllte. »Sie müssen dafür sorgen, dass der Raum frei von Staub bleibt, ansonsten empfangen Sie die Besucher und beantworten ihre Fragen. Sie arbeiten von 12 bis 20 Uhr von Dienstag bis Sonntag. Am Montag haben Sie frei.«
    Ich nickte.
    »So einfach die Arbeit auf den ersten Blick erscheint, so schwierig ist es, sie gewissenhaft auszuführen«, sagte er. »Bisher war niemand in der Lage, hier länger als ein Jahr zu arbeiten. Sie dürfen keine Bücher, kein Mobiltelefon und keine Papiere mit hinein nehmen, nichts, auf dem etwas zu lesen ist. Wenn Sie Getränke und Essen mitbringen, was Sie dürfen, müssen Sie alle Etiketten entfernen. Außerdem ist es Ihnen untersagt, zu singen oder mit sich selbst zu reden. Trauen Sie sich das zu?«
    Ich nickte. Er sah zufrieden aus und trank einen großen Schluck Rum.
    »Aber ich darf denken?«
    Er lachte. »Das lässt sich nicht vermeiden. Wenn Besucher kommen, dürfen Sie mit Ihnen natürlich sprechen, Sie müssen es sogar, um alle Fragen beantworten. Nur Sie selbst dürfen keine Fragen stellen.«
    »Eine seltsame Bedingung«, sagte ich.
    »Es ist ein Zugeständnis. Es hat damit zu tun, dass die Worte auf den Etiketten rein bleiben sollen. Gut, man wird Sie nicht kontrollieren, ich finde es auch ein wenig übertrieben und vielleicht unnötig, aber es ist eine Gewissensfrage, diese Regel einzuhalten. Sie haben eine gute Unterkunft gefunden?«
    »Nein. Ich werde mich bald nach einer Wohnung umsehen.«
    »Gehen Sie zu Maga Luna. Bei ihr ist es sauber und preiswert. Das Abendessen ist einfach, aber hervorragend.« Er schnalzte mit der
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