Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten
Autoren: Thomas Pregel
Vom Netzwerk:
darüber anzuhören oder selber zu reißen. Mit HIV und Aids war eben nicht zu spaßen, und solange ich diese eherne Regel nicht verletzte, mich zumindest ihm gegenüber immer daran hielt, konnte mir bei ihm nichts passieren. Im Gegenzug war er dann auch immer vorbereitet, hatte Kondome da, die noch meilenweit von ihrem Verfallsdatum entfernt waren, und Gleitgel. Dafür trug er ganz selbstverständlich Sorge, und so, weil es eben niemals zu Engpässen kam, konnte ich das gut ertragen und geriet niemals auch nur in die Nähe einer brenzligen Situation.
    Dann kam – wohl zwangsläufig – der Abend, an dem diese Glückssträhne riss. Der Abend eines für mich anstrengend verlaufenen Tages noch dazu, was alles nur noch schlimmer machte, da ich mich erschöpft fühlte und darum ungnädig zeigte wie ein verstocktes Kind und zur Besänftigung meiner Nerven unbedingt haben wollte, wonach es mich gelüstete: Aufmerksamkeit und Zuneigung in Form von Geschlechtsverkehr. Ich hatte den Tag hauptsächlich damit verbracht, Pressetermine zu absolvieren, immer in Gegenwart meines wie immer höchst umtriebigen Galeristen, der mir dabei ordentlich auf den Geist gegangen war. Alles musste er kontrollieren, mit wem ich sprach, welche Fragen mir gestellt wurden, und hätte ich ihn gelassen, er hätte mir auch gleich noch die Antworten vorgeschrieben, nur damit mir ja keine verbale Entgleisung entführe, die meinen Aufstieg in den Kunstolymp vielleicht nicht abbrechen, aber eventuell doch verlangsamen könnte. Zum ersten Mal zeigte dieser Mann mir sein wahres Gesicht, was für ein geldgeiler Freak tatsächlich in ihm steckte, und mehr als einmal musste ich mich sehr beherrschen und meinen Ärger herunterschlucken, um nicht plötzlich aufzuspringen, ihm vor aller Augen eine Szene zu machen und die Brocken hinzuschmeißen. Das Einzige, was mich durchhalten ließ, war die Aussicht auf den Abend, den Tagesausklang in den Armen von Klaus. Ich flog praktisch zu ihm und entledigte mich noch im Flug meiner Kleider.
    Er ließ sich nicht lange bitten, und schon lagen wir im Bett. Das Vorspiel war schnell beendet, jetzt wollte ich die echten Sachen. Erwartungsvoll presste ich mein nacktes Hinterteil in seinen Schoß, öffnete ich es seinen den Weg bereitenden Fingern. Er machte mich richtig heiß und dann drehte er sich plötzlich von mir weg und öffnete die oberste Schublade seines Nachttischchens, wo er die für Akte dieser Art nötigen Utensilien bereithielt. Ich kannte diesen Moment und hatte ihn mit der Zeit schätzen gelernt als Verzögerung zwecks Erhöhung der erotischen Spannung, als die Ruhe vor dem Ficksturm. Diesmal aber drang nach kurzer Pause nicht sein harter, von feucht glänzendem Latex umhüllter Schwanz in mich ein, sondern nur seine enttäuschte Stimme.
    »Ach, Mist!«, rief er.
    »Was?« Ich fuhr erschrocken herum.
    »Wir haben keine Kondome mehr.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich hab vergessen, welche zu kaufen.«
    Ich schwieg einen Moment, dann sagte ich, leise: »Und?«
    »Was ›und?‹«
    »Können wir es nicht mal ohne machen?« Ich schmiegte mich dabei ganz kuschelig eng an ihn, schnurrend wie ein Kätzchen. »Du willst es doch auch.«
    »Sag mal, spinnst du?« Er fuhr regelrecht von mir zurück, als wäre ich das leibhaftige Virus, die Verkörperung all seiner Ängste, die nun neben ihm im Bett lag und ihn lockte.
    »Was ist denn schon dabei?«
    »Was dabei ist? Meinst du das im Ernst?«
    »Ja, meine ich.« Ich fühlte mich spontan in die Ecke gedrängt, rabiater behandelt, als es notwendig gewesen wäre, und reagierte mit der mir in diesen Situationen eigenen Patzigkeit. »Seit Monaten schlafen wir jetzt schon miteinander, und ich für meinen Teil kann guten Gewissens behaupten, dass ich dir in all der Zeit kein einziges Mal untreu gewesen bin.«
    »Aber darum geht es doch gar …«
    »Außerdem hast du grundsätzlich nur Safer Sex und lässt dich regelmäßig testen – so wie ich. Wir wissen also beide mit hundertprozentiger Sicherheit, dass wir negativ sind.« Ich pokerte mit gezinkten Karten, und es war mir scheißegal, Hauptsache, diese Runde ging an mich. »Also, wo ist das Problem? Wenn irgendwer auf dieser Welt ungeschützten Geschlechtsverkehr haben kann, dann doch wohl wir beide!«
    »Es geht hier ums Prinzip.«
    »Das ist doch Blödsinn!«
    »Nenn es, wie du willst, aber davon weiche ich nicht ab. Ich habe einmal Seite an Seite mit dieser Bedrohung gelebt, ich habe gesehen, was diese Krankheit anrichten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher