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PR NEO 0043 – Das Ende der Schläfer

PR NEO 0043 – Das Ende der Schläfer

Titel: PR NEO 0043 – Das Ende der Schläfer
Autoren: Alexander Huiskes
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1.
    Betty Toufry: Kontakt
     
    Betty Toufry war eine ungewöhnliche Frau. Anfang dreißig, wurde sie oft für einen Teenager gehalten. Schwach, ja hilfsbedürftig. Doch das war ein Irrtum. Betty Toufry war eine Mutantin. Sie beherrschte die Telekinese: Mit der Kraft ihres Geistes vermochte sie Gegenstände zu bewegen. Und sie beherrschte die Telepathie: Sie las die Gedanken anderer.
    Die Menschen, die sie kannten – und erst recht jene, die sie nicht kannten –, waren überzeugt, dies mache ihr das Leben leicht: Die Gedanken jener zu kennen, die einem gegenüberstanden, die tiefsten Geheimnisse auszuloten, die sich unter jener dünnen Tünche regten, die man gemeinhin als »Konversation« bezeichnete …
    Nun – Betty Toufry wusste, dass es ganz und gar nicht so war. Die Telepathie war ein schwieriges Unterfangen. Zum einen benötigte sie dafür umso mehr körpereigene Energie, je intensiver sie ihre Gabe nutzte, und zum anderen war es ein bisschen wie in tausend Kilometern Höhe über dem südamerikanischen Regenwald zu schweben und zu versuchen, ein bestimmtes Krokodil ausfindig zu machen. Starke Gedanken, dominierende Leitlinien des Geistes, entsprachen dabei dem Amazonas als Orientierungshilfe, aber alles andere lag unter dem dichten Blattwerk verborgen, zu dem sie erst hinabstoßen und es danach noch durchdringen musste – ohne zu wissen, was sie darunter jeweils erwartete.
    Und das galt für die Gedankenwelt von Menschen.
    Die Santor waren etwas ganz anderes.
    Als Santor bezeichneten sich jene rätselhaften Pflanzenwesen, die unter der Marsoberfläche in einem kleinen Reservat lebten; »Halbschläfer« wurden sie zudem genannt, aber ihre Erklärung für diese Bezeichnung schien nebulös. Sie seien noch nicht erwacht, ihre Zeit nicht gekommen. Zur Aktivität erwacht waren sie nur kurzzeitig, als die Menschen das Terraforming des Mars in Angriff nahmen, weil sie den roten Planeten ungeachtet seiner prinzipiellen Unwirtlichkeit als ihre Heimat betrachteten. Sie hatten den Ferronen Hetcher zu sich gerufen. Er war letztlich in ihnen aufgegangen. Der Historiker Cyr Aescunnar hingegen, der den Ferronen hatte retten wollen, war nach diesen Erfahrungen von den Santor verschont und zu ihrem Boten gemacht worden.
    Damit sollte es, wenn es nach den Santor ging, genug sein.
    Aber nun war Betty Toufry auf dem Mars, im Auftrag der Terranischen Union. Sie sollte den Kontakt zu den Santor herstellen und »mehr erfahren«. Ganz oben rangierten dabei drei Fragen: Wer waren die Santor, woher kamen sie, welche Ziele verfolgten sie?
    Ein Geschöpf, das Aescunnar als »Tweel« bezeichnet hatte, war Bettys Führer gewesen. Worum genau es sich bei diesem Tweel handelte, blieb ihr unklar. Es sei einerseits eine Projektion der Santor, aber es bestehe auch zu einem Teil aus dem Ferronen Hetcher. Ob damit nur ein mentaler Bestandteil gemeint war?
    Tweel ließ sich jedenfalls nicht in die Karten schauen. Wenn Betty versuchte, nach seinen Gedanken zu haschen, fuhren ihre geistigen Fühler wie durch Nebel. Ganz unzweifelhaft hatte Tweel ein Bewusstsein, aber es kam ihr vor wie eine Wolke feinster Tröpfchen, nur knapp über Molekülniveau, die sie mit ihrem vergleichsweise groben Netz aus telepathischen Kräften nicht zu fassen bekam.
    Tweel rekelte sich vor ihr auf dem feuchten, moosigen Boden der subplanetaren Höhle, in der die Santor lebten. Das merkwürdige Geschöpf, weder Vogel noch Echse, noch Säuger und doch irgendwie alles davon, gab trillernde Laute von sich und behielt Betty Toufry im Blick.
    Was dachte Tweel?
    Nur das, was ihm die Santor als ihrem Agenten eingaben? Oder lauerte da ein eigener Wille, der unabhängig von seinen Prinzipalen war?
    Tweel jedenfalls verriet nichts, gab nichts preis.
    Die Santor verhielten sich ähnlich, allerdings hegte Betty den Verdacht, dass sich dies vor allem durch die vollkommen unterschiedliche Wesensart der beiden Spezies ergab, die in Kontakt miteinander treten sollten: hier der Mensch, dort die Tulpe.
    Tulpe war selbstverständlich nur eine schwache Analogie und wirkte selbst für Betty, die wusste, wie wenig tulpenhaft die Santor waren, befremdlich. Aber die rund einen halben Meter hohe Lebensform ähnelte mit dem dicken, hellgrünen Stängel, den zwei bis sechs grundständigen Laubblättern und der charakteristischen, turbanartigen Blütenform eben jener tulipa, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts Europa erobert und bald darauf zur ersten großen Finanzkrise der modernen
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