Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
Autoren: J Rautenberg
Vom Netzwerk:
Happy End
    Samstag, 6 . November, um 11 : 31 Uhr
    » Liebling?«
    Es ist Samstagmorgen. Und viel zu früh. Trübes Novemberlicht fällt durch den Vorhang. Draußen ist der Herbst angekommen, es ist windig, regnerisch und ekelerregend kalt. Hier drin, in unserer kleinen Höhle, ist es herzzerreißend gemütlich und warm.
    Ich kuschele mich in die Bettdecke. Von der linken Matratzenhälfte geht noch Wärme aus. Konrad muss gerade erst vor ein paar Minuten aufgestanden sein. Konrad! Mein Herz vollführt in einer spontanen frühsportlichen Einlage einen Purzelbaum. Konrad! Ich probiere die Sätze noch einmal aus, die ich seit ein paar Wochen jeden Morgen vor dem Spiegel übe: Ich habe einen Freund. Ich habe wirklich einen Freund. Ich bin nicht mehr allein. Ich habe Konrad. Das klingt gut! Sogar noch besser als: Ich geh zum Sport. Vielleicht auch, weil die vierwöchige Probemitgliedschaft in einem Fitnessstudio mich weder zu einer potenziellen Iron-Man-Kandidatin noch erwähnenswert schlanker gemacht hat. Die Mitgliedschaft habe ich deswegen nach vier Wochen gekündigt. Also, die im Fitnessstudio. Diese hier nicht. Nicht die mit Konrad.
    Es fällt mir schwer zu sagen, seit wann Konrad Teil meines Lebens ist. Irgendwie ist er das ja schon immer. Konrad und ich teilen uns die Erinnerung an neun schrecklich pubertierende Jahre auf dem Gymnasium, eine Fünf in Chemie, eine gemeinsame Abneigung gegen Frank Hochstetter, den damals coolsten Jungen der Stufe (mich hat er abserviert, als ich ihm auf Klassenfahrt in Rom meine Liebe gestand, und Konrad hat er verprügelt, als er einmal einen unflätigen Kommentar über Franks tiefergelegten BMW verlauten ließ), einige erfolglose Demonstrationen gegen die Abschaffung des Oberstufenkellers und drei gemeinsame Jahre Ethik-Unterricht, in denen ich Konrad weitestgehend aus- und er mich weitestgehend angelacht hat.
    Konrad– das habe ich vor ein paar Tagen bei einem postkoitalen Gespräch unter der Bettdecke erfahren– war lange Zeit schlimm in mich verliebt. Genau genommen von Klassenstufe fünf bis dreizehn– mit einer kleinen Unterbrechung, als ich in der Zehnten mit Roland Fuchsinger » ging«. Da kühlte Konrads Leidenschaft für einige Wochen ab, erwachte aber wieder, als sein Deutsch- LK mit der Lektüre der Leiden des jungen Werther begann.
    » Liebling?«
    Als Konrad mir vor ein paar Tagen unter der Bettdecke seine pubertären Gefühle gestand, war mir das im ersten Moment wirklich peinlich. Nein, stimmt nicht. Im ersten Moment musste ich– vollkommen unangebracht– lachen. Das hat Konrad mir wiederum ein bisschen übel genommen. Ich riss mich also zusammen und erklärte japsend, keuchend und mir die Tränen aus den Augen reibend: » Das ist nur so unglaublich! Da fühlte ich mich meine ganze Jugend über hässlich, ungeliebt und scheiße, und jetzt sagst du mir knapp zehn Jahre später, dass du heimlich in mich verliebt warst!«
    » Na ja«, wand Konrad ein. » Aus heutiger Sicht muss ich schon sagen: Ein bisschen komisch sahst du wirklich aus.«
    Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. » Wie bitte? Gerade noch wilde Sturm-und-Drang-Leidenschaft, und jetzt stürzt du deine Königin?«
    » Entschuldigung«, unterbrach mich Konrad leicht entrüstet, » du hattest grüne Haare!«
    » In der Siebten«, räumte ich ein. » Das war ein schlimmer Verstoß gegen die ästhetischen Menschenrechtskonventionen, das gebe ich gerne zu. Aber danach wurde es besser!«
    » Danach hast du Plateauschuhe und eine Umhängetasche aus gelbem Synthetikfell getragen«, widersprach Konrad.
    Ich hasse die Neunziger. Und ich hasse die Tatsache, dass ausgerechnet ich in diesem Jahrzehnt meine Ich-probier-mal-alle-Haarfarben-die-es-auf-dem-Markt-so-gibt-Phase hatte. Was würde ich heute dafür geben, auf Jugendfotos Schulterpolster und Haarspraymauer zu tragen oder Petticoats und Spitzbrust- BH s und nicht Glitzeroberteile und Plastiksonnenblumen im türkis-blond gestreiften Haar.
    » Ist ja auch egal«, lenkte Konrad harmoniebedürftig ein. » Du hast mir damals gefallen, egal wie sehr du versucht hast, dich zu verunstalten.« Ich holte tief Luft, um Konrad ins Wort zu fallen. » Ich fand dich trotzdem toll«, fuhr er schnell fort und gab mir einen Kuss, bevor ich ihm erneut widersprechen konnte. » Und das finde ich heute auch. Mehr denn je.«
    Hach! Konrad! Ich habe einen Freund. Diesen Satz kann man einfach nicht häufig genug sagen.
    » Liiiiiiiebling!«
    Er nennt mich Liebling. Wir haben neulich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher