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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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Freundin und als Zweiflerin. Sie kann im Roman formulieren, dass Elisabeths Vision zu Eisenach genauso gut ein Fiebertraum hätte sein können. Sie kann um ihre Beziehung zu Elisabeth ringen, kann versuchen, sie zu begreifen. Und dabei findet auch sie keine letzte Gewissheit, keine endgültige Antwort auf ihre Fragen.
     
    Wir besitzen von Elisabeth selbst keine einzige Zeile. Sie konnte sicherlich lesen und vermutlich auch schreiben, das gehörte zur Ausbildung einer adeligen Dame. Aber sie war ganz offensichtlich keine Intellektuelle. Von ihr stammt kein literarisches Werk, wie es etwa Mechthild von Magdeburg schuf, sie hat nicht mit außergewöhnlichem Wissen geglänzt wie Hildegard von Bingen, die Kranke medizinisch sinnvoll behandelte, anstatt ihre Wunden zu küssen. Es gelang Elisabeth nicht, Anhängerinnen um sich zu versammeln, ein Kloster oder einen Orden zu gründen wie es eine Clara von Assisi getan hat. Die meisten ihrer Aktionen und Denkungsweisen scheinen Nachahmungen zu sein, von der Hospitalgründung über den Wunsch, betteln zu gehen, der von Franz von Assisi inspiriert war, bis hin zu Kleinigkeiten wie der Drohung, im Falle einer Zwangsverheiratung würde sie sich die Nase abschneiden. Selbst diese Idee stammt von Oda von Xanten, deren Geschichte ihr sicherlich bekannt war. Vieles an Elisabeth wirkt epigonenhaft.
    Mir erscheint tragisch, dass sie bis zu ihrem frühen Tod ihren Platz im Leben nicht gefunden hat. Viele Biographen schreiben, sie habe im Hospital zu Marburg ihren Ort an der Grenze zwischen Kloster und Welt, zwischen Laien und Ordensleuten eingenommen. Als
soror in saeculo
war sie eine Frau am Rand aller Institutionen. Sie gehörte nirgendwohin. Aber ihr größter Wunsch war doch ganz eindeutig gewesen: Sie wollte einfach nur betteln gehen wie Jesus und wie ihr Vorbild Franz von Assisi. Das hat ihr Beichtvater Konrad von Marburg nie erlaubt. Er hat sie, die sich Kompromissen stets verweigert hatte, am Ende gezwungen, einen Kompromiss zu leben.
    Der große Wunsch, der Elisabeth allerdings erfüllt wurde, war ihr Aufstieg in den Rang einer Heiligen. Wenn man einer Stelle in den Quellen Glauben schenken darf, war dies ihr erklärtes Ziel. Uns Heutigen scheint das vermessen, aber in der damaligen Zeit war eine Heiligsprechung nichts Außergewöhnliches. Und Elisabeth stammte aus dem Geschlecht der Arpaden, drei ihrer Vorväter hatten ihr bewiesen, dass es möglich war. Dieses Streben nach Heiligkeit hat vielleicht dazu geführt, dass Elisabeths Caritas nicht so sehr den leidenden Menschen zum Ziel hatte, sondern eher die eigene mystische Annäherung an Christus und die eigene Erhöhung. Der in den Quellen belegte Vorwurf an sie: »Ihr wollt auf unserem Rücken in den Himmel steigen!« hat sicherlich eine gewisse Berechtigung.
    Elisabeths Dilemma bestand darin, dass sie eine Frau war. Heilig sein konnten entweder Jungfrauen oder Märtyrerinnen. Doch mit Jungfräulichkeit konnte sie als dreifache Mutter nicht dienen. Vielleicht ist dies einer der Gründe für ihre strenge Askese – Selbstbestrafung für als sündhaft empfundene Geschlechtlichkeit. Die Hagiographie entschärft die Tatsache, dass sie eine »unkeusche« Frau war, indem ihre Beziehung zu Ludwig  IV . als außergewöhnlich glücklich, als Liebesehe beschrieben wird. Dies ist damals im Hochadel die absolute Ausnahme; Verbindungen wurden aus dynastischen und politischen Gründen geschlossen. Elisabeths Ehe hingegen erhält durch den Faktor Liebe quasi eine moralisch-emotionale Rechtfertigung und Überhöhung.
    Und Märtyrertum? Vielleicht sah Elisabeth darin ihren Weg. Doch die Zeit, in der man Menschen wegen ihres christlichen Glaubens umbrachte, war vorbei. Vielleicht deshalb ihre langsame Selbstzerstörung durch Hungern und Überarbeitung? Suchte Elisabeth den Tod? Selbstmord war Todsünde, Sterben an Entkräftung nicht.
    Hier mag jeder sich sein Urteil bilden.
     
    Oftmals bin ich in der Literatur auf den Vorwurf gestoßen, Elisabeth habe nur Symptome geheilt. Nie sei sie die Ursachen des Elends angegangen. Sie hätte doch, so wirft man ihr vor, als Fürstin alle Möglichkeiten gehabt: im Land die Steuern senken, in den Städten für soziale Maßnahmen sorgen, mehr Hospitäler gründen, Abgaben gerechter verteilen. Damit hätte sie mehr Menschen geholfen als nur den wenigen, die sie persönlich im Hospital betreut hat. Doch dies ist eine ganz und gar moderne, rationale Sichtweise. Um Elisabeth gerecht zu werden, muss man sie
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