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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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sich fest an mir, er starrte mich an, erst fassungslos, dann schicksalsergeben. Und schließlich nickte er mir zu.
     
    Am Tag danach brachte mir ein Bote ein kleines Päckchen. Lange Zeit brachte ich es nicht über mich, es zu öffnen. Ich legte es vor mich auf den Tisch und saß davor, die Hände im Schoß. Als ich endlich den Mut fand und die Schnur löste, rollte mir der silberne Reif entgegen. Der Ketzerring.
    Ich nahm ihn – er brannte mir nicht mehr in die Haut.
    Es war vorbei.

Nachwort
    D ie heilige Elisabeth von Thüringen ist eine der am besten dokumentierten Frauen des deutschen Mittelalters. Das liegt vor allem daran, dass man der Kurie für ihre Heiligsprechung Zeugnisse und Aussagen ihrer Weggefährten vorlegen musste. Dank dieser Akten sind wir ungewöhnlich gut informiert. Es liegt aber auch an der frühen Legendenbildung und dem großen Interesse der Zeitgenossen an ihrer Person. Wenn wir diese Quellen lesen, erfahren wir viel über ihr Leben und Handeln. Gleichzeitig gilt es aber vorsichtig zu sein, denn diese Dokumente haben entweder das Ziel, Elisabeth möglichst schnell als Heilige etabliert zu sehen, oder aber sie sind schlicht und ergreifend Hagiographie. Nur mit einer gehörigen Portion Quellenkritik lässt sich aus der frühen Elisabeth-Literatur ein Bild ihrer Persönlichkeit herausarbeiten, das – vielleicht – der Wahrheit nahe kommt.
    Wer war diese Elisabeth von Thüringen? Störenfried, Rebellin, Heilige? Für ihre adeligen Zeitgenossen: eine überspannte Verrückte, eine Querulantin, heute würde man sagen: eine »Spaßbremse«? Worin lag der Antrieb ihres Tuns, woraus nährte sich ihre Frömmigkeit? Vieles an ihrem Handeln bleibt für uns Heutige schwer verständlich.
    Ich habe versucht, bei der Interpretation Elisabeths – und mehr kann ein Roman über ihr Leben nicht sein – meine eigenen Wege zu gehen. Ich habe versucht, mich von gängigen Vorstellungen zu befreien und sie in erster Linie als Persönlichkeit zu sehen. Das hat zu einer eher psychologisch geprägten Sichtweise geführt, wenn sich das mit der Wahrnehmung der Kirche auch manchmal brechen mag. Ich wollte den Menschen hinter der Legende finden.
    Die Charakterkunde der mittelalterlichen Heiligen ist in vielen Fällen ein klinisches Lehrbuch für Gemütszustände, die wir heute im Allgemeinen als unnormal empfinden. Oder finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, den Wunsch normal, einem Leprösen die schwärenden Füße zu küssen? Ist es für Sie vernünftig, dass ein Mensch blutige Selbstzüchtigungen ausübt, um Demut vor Gott zu bezeugen? Finden Sie es unbedenklich, wenn jemand so lange hungert, bis ihn schließlich eine einfache Grippe umbringt? Religiöse Anorexie, also Magersucht im Namen des Glaubens, ist im Übrigen eine gängige Diagnose auch für andere Heilige, wie zum Beispiel Katharina von Siena. Die Befriedigung des Bedürfnisses zur Selbsterniedrigung gehört bei solchen Menschen zu ihren seelischen Lusterlebnissen. So sieht es die Psychologie. Nachzulesen ist dies in der damals aufsehenerregenden Monographie »Das Leben der Heiligen Elisabeth von Thüringen« von Elisabeth Busse-Wilson (München 1931 ).
    Man kann Elisabeths Leben als neurotisch bewerten, ein hartes Urteil. Mangelnder Wirklichkeitssinn, fehlende Kompromissbereitschaft, religiöser Wahn, der zu völliger Selbstaufgabe führt – das sind Kennzeichnen von Radikalismus, egal auf welchem Gebiet. Elisabeth schwankt offenbar zwischen Hochgefühlen – wie bei der Gabenverteilung oder bei der Krankenpflege – und Verzweiflung oder Aggression, wenn sie, wie belegt ist, einem lebensfrohen Mädchen die Haare schert oder eine alte Frau zur Strafe schlägt. Elisabeth lebte in extremer Zerrissenheit. Hier das Befehlen als Fürstin – dort die bedingungslose Hörigkeit Konrad von Marburg gegenüber. Hier die Liebe zu den Kindern der Ärmsten – dort die vermeintliche Gefühlskälte gegenüber ihren eigenen Kindern. Hier die lustvolle Liebe zu ihrem Ehemann – dort der Wunsch nach Jungfräulichkeit. Was dem einen als revolutionär erscheint, nämlich dass eine Reichsfürstin Rang und Reichtum aufgibt, um in völliger Armut ihrem Glauben zu leben, kommt dem anderen vielleicht merkwürdig oder gar dumm vor.
    Ich habe meiner oft zwiespältigen Haltung zu Elisabeth einen Namen gegeben: Gisa. Sie ist, anders als Isentrud und Guda, keine historische Figur, sondern allein meiner Phantasie entsprungen. Ich wollte sie als Beobachterin, als
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