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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels
Autoren: Sabine Weigand
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einäugigen Johannes. Keiner weiß, warum, und die Mörder hat man nie gefasst.« Guda zog ihr Tuch enger um die Schultern, als ob sie fröstelte. »Bis zu seinem Tod hat er Elisabeths Heiligsprechung beim Papst vorangetrieben. Aber er hat den großen Triumph nicht mehr erleben dürfen. Das war Gottes Strafe für seine Schlechtigkeit.«
    In diesem Augenblick ertönten Trompetenfanfaren. Überall, in der Kirche und draußen vor dem Hospital, verstummten die Menschen. Der Kaiser zog ein.
     
    Nicht in großer Pracht, nicht im vollen kaiserlichen Ornat betrat Friedrich die Kirche, sondern im fahlfarbenen Büßergewand, barfuß und barhäuptig. Langsam schritt er durch den Mittelgang, geradewegs auf Elisabeths steinernes Grab zu.
    Friedrich kniete demütig vor dem Sarkophag, während die Erzbischöfe von Trier und Mainz zusammen mit einigen Ordensbrüdern der Deutschherren den Deckel abhoben. Dann erhob sich der Kaiser feierlich und griff in den Sarg hinein. Vorsichtig holte er etwas heraus und hielt es hoch, hoch über seinen Kopf, damit alle Anwesenden es sehen konnten. Es war Elisabeths Totenschädel.
    Mir wurde schlecht.
    Bischof Konrad von Hildesheim brachte ein herrliches Reliquiar in Form eines Turmes, der das heilige Jerusalem symbolisieren sollte. Ein Mönch hob die obere Hälfte ab, und der Kaiser setzte den Schädel behutsam auf den Sockel des goldenen Behälters. Dann reichte ihm einer seiner Höflinge eine glänzende, juwelengeschmückte Krone. »Dir, Elisabeth, Heilige unserer Zeit, gebührt dieser Schmuck«, rief Friedrich mit hallender Stimme, so dass man ihn bis in den letzten Winkel der Kirche hinein hören konnte. »Ehren will ich dich als eine Königin in Gottes Reich. Sancta Elisabeth, bitt für mich und bitt für uns alle in der Stunde unseres Todes.« Er drückte die Krone sanft, aber bestimmt, auf den knöchernen Schädel.
    Die Mönche in der Apsis stimmten das Tedeum an, gewaltig hallten ihre Stimmen durch das Kirchenschiff. Mir, Guda und Isentrud liefen die Tränen über die Wangen. Das letzte Mal, als wir dieses Lied gemeinsam gehört hatten, war es von den Franziskanern in Eisenach angestimmt worden, in jener schicksalhaften Nacht, als Elisabeth die Wartburg verließ.
    War es das wert gewesen? Das ganze Leid, die Schmerzen, die Tränen? Die bedingungslose Unterwerfung, die grenzenlose Erniedrigung? Ich kann es nicht sagen. Elisabeths Weg von Eisenach bis nach Marburg war ein einziger Gang der Selbstzerstörung gewesen. War dies alles wirklich aus freiem Willen heraus geschehen? Oder hat ein böser Geist in Gestalt Konrads von Marburg ihr Leben zerstört? Nein, ihr Schicksal hat mich nicht im Glauben bestärkt – eher hat es mich zum Zweifeln gebracht. Warum muss jemand, der Gott so liebt wie kein anderer, so früh sterben? Warum muss jemand, der niemandem je etwas zuleide tat, der immer nur half und liebte, alles verlieren, alles lassen? Ist das die Vorstellung von christlicher Gerechtigkeit? Liebt Gott nur den, der in der Nachfolge Christi alles hingibt und das Schlimmste erduldet? Hat nicht Christus damals für uns Menschen alles auf sich genommen, für die Schlechtesten, aber auch für die Besten? Muss denn ein einfacher Mensch noch einmal durchleiden, was er erduldete, nur um der Heiligkeit willen? Oder war Elisabeths Weg ein Irrweg, eingeschlagen aus Verblendung und Hochmut? Mag dereinst ein anderer Antwort auf meine Fragen finden, ich kann es nicht.
    Der Mensch Elisabeth war gestorben – aber ihr größter, sehnlichster, verzweifeltster Wunsch hatte sich erfüllt. Sancta, sancta, sancta, sangen die Mönche. Die Krone, die Elisabeth im Leben nie hatte tragen wollen – nun saß sie auf ihrem toten Haupt.
    Sie hatte die Tore des Himmels durchschritten.
     
    Ungeheurer Jubel brandete auf. Und inmitten der Begeisterung, als der Kaiser das Reliquiar mit Elisabeths gekröntem Haupt auf den Altar stellte, traf mein Blick auf ein zweites Augenpaar.
    Er stand auf der Stufe, die die Apsis vom Kirchensaal trennte. Grau waren seine Schläfen geworden, ein bitterer Zug lag um seinen Mund. Nichts war mehr geblieben von seiner einstigen männlichen Schönheit. Er sah aus wie ein Mensch, den das Leben furchtbar gestraft hatte, der sich nichts mehr erhoffte. Heinrich Raspe.
    Ich erschrak zu Tode. Es war zu spät, mein Gesicht zu verhüllen. Er hatte mich erkannt, so wie ich ihn. Nun wusste er, dass ich noch am Leben war. Ich begann zu zittern. Wollte er mich immer noch töten?
    Sein Blick saugte
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