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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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darüber, daß dieser Fremde in seine geheimsten Gefühle eingedrungen war, sich in seinen Schmerz gedrängt hatte ...
    Ein Gedanke blitzte in Kerris' Kopf auf.
    »Möchtest du in den Waffenhof?« fragte er langsam.
    Suya nickte. »Kannicht«, wiederholte er.
    Kerris stand auf, und der Junge erstarrte. »Du brauchst keine Furcht vor mir zu haben«, sagte Kerris. »Wenn du in den Hof willst, dann werde ich dir dabei helfen.«
    Suyas dunkle Augen weiteten sich. »Wie?«
    »Ich kenne den Hofmeister.« Das ist eine echte Notlüge, dachte er. »Ich glaube, ich kann ihn überreden, daß er dich in die Kindergruppe aufnimmt.«
    Suyas Gesicht spannte sich argwöhnisch. Aber Gerri stieß ein lautes freudiges Johlen aus, Sie hüpfte begeistert auf der Gasse herum. Dann packte sie Suya bei der Schulter. »Ja!« drängelte sie. »Das ist eine gute Idee. Charin ist ein feiner Kerl. Der läßt dich bestimmt in den Hof kommen, auch wenn du kein Messer hast!«
     
    Es kostete einige Überredungskünste, bis Suya bereit war, aus seiner Gasse fortzugehen. Gerri und Danu leisteten die Hauptarbeit. Kerris wartete ab. Es war ihm unmöglich, nicht an Kel zu denken, an jene Nacht im Garten, an den Tag am Waldteich ... Er erinnerte sich, wie Kel ihre Mutter beschrieben hatte. »Sie kam immer ganz erschöpft nach Hause. Ich habe nie begriffen, warum es sie so müde machte, wenn sie Leute besuchte, bis mir klarwurde, daß sie ihre Gabe dafür einsetzte, zu vermitteln, Streit zu schlichten.« Und das erste, was er je für den chearas getan hatte, war einen Streit zu schlichten.
    Und was kann ich tun?
    Alles, was du willst. Er hörte Sefers Stimme es sagen. Seine Kehle kitzelte ihn. Was immer er auch tun würde, was immer er lernen würde – Sefer würde es nie erfahren.
    Der Waffenhof lag verlassen da. Charin stand wartend am Eingang. Er hob die Hand, als er Kerris sah, und kam auf ihn zu. »Na, hast du dich verlaufen?« rief er. »Ich hab' mir allmählich schon überlegt, ob ich noch auf dich warten soll.«
    Er trug die offizielle Kampfkleidung des Hofes: ein dickes Hemd, Kniehosen, Stiefel. Ein breiter Ledergürtel schlang sich um seine Hüften. Ein Kurzschwert in feingearbeitetem Gehänge baumelte an seinem linken Schenkel. Außerhalb des Waffenhofes wirkte er mächtiger als innerhalb der Umzäunung. Kerris merkte, wie Suyas Schritte immer zögernder wurden.
    Er legte dem Jungen die Hand fester auf die knochige Schulter. Gerri rannte ihnen voraus, Danu ging auf Suyas anderer Seite. Er hatte darauf bestanden, für Kerris die Bettrolle zu tragen.
    Charin schaute sich das seltsame Quartett an. »Was bedeutet das?« fragte er und blickte zu Suya.
    Kerris antwortete: »Sein Name ist Suya. Er ist halb Asech, halb Arun, sagt er, aber beide Rassen lehnen ihn ab und wollen ihn nicht haben. Er kann nicht in den Waffenhof kommen, weil er ohne Verwandte ist, er hat keinen, der ihm ein Messer geben kann. Er schläft in den Gassen, und die Werkmeister prügeln ihn. Und er ist vierzehn Jahre alt. Mir will scheinen, daß das kein Leben für einen Menschen ist. Auf einer Burg hätten sie ihn besser behandelt!«
    Charins Gesicht blieb unverändert. Der Junge warf ihm einen beredten Blick von unten her zu. Siehst du, sagten seine Augen. Du siehst es doch? Er versuchte seine Schulter aus Kerris' Griff zu befreien.
    Doch Kerris hielt ihn weiter fest. Er streckte seine Gedankenfinger nach dem großen Mann aus, schob die Oberflächenwiderstände beiseite, spürte Stolz, Liebe, Mitleid und Mitgefühl – und behutsam sammelte er seine Kräfte. Dann schickte er sein Denken – wie einen gebündelten Sonnenstrahl – und ließ es über die bewußten Bereiche in der Seele des Hofmeisters spielen. Weil du ein anständiger Mensch bist, sagte er, und weil du weißt, wie man sich fühlt, wenn man wünscht und nicht erhält, wenn man sich sehnt und es einem versagt wird, wegen eines Unfalls, eines Zufalls, eines Fehlers, an denen man schuldlos ist ...
    Ja, antwortete die Seele Charins, ja, ich weiß es – und dann reagierte sein Gehirn auf das Eindringen: Verdammt, du hast kein Recht, dich so in meinen Kopf zu schleichen! Geh raus! Verschwinde! Doch Kerris hatte sich bereits zurückgezogen. Er hielt weiterhin Suya fest und beobachtete, wie die großen Pranken des Hofmeisters sich ballten und wieder öffneten. Das Gesicht des Mannes war bleich geworden, und er hatte die Augen zusammengekniffen. Er wankte ein wenig. Schließlich machte er die Augen wieder auf und holte
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