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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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1. Kapitel
     
    Kerris erwachte. Er reckte sich. Er fühlte sich kalt und steif. Der Strohsack unter ihm war dünn und stachelig; er hatte weit entfernt von den Kaminen geschlafen, an einer Stelle, wo er der Tür am nächsten war. Die Morgensonne fiel durch die hohen unverglasten Fenster der Mannschaftsunterkunft, golden ließ sie die schmutzigen Wandteppiche in fahlen Farben aufleuchten, und der Himmel durch die schmalen Lukenschlitze wirkte grau, fern und eisig.
    Er schluckte und spürte im Mund den Salzgeschmack des Schweinefleischs vom Abend zuvor. Neben ihm warf sich einer der Posten auf Freiwache in den Fesseln eines bösen Alptraums stöhnend hin und her. Kerris zog sich die Stiefel über. Die Senkel flatterten. Er begann die Stiefel zu schnüren. Die steifen Schnürsenkel entglitten seiner Hand immer wieder. Seine Finger waren kalt.
    Er blies sie an, um sie zu erwärmen. Sein Armstumpf schmerzte, und er rieb an ihm. Ein Hund bellte. Draußen im Hof rief jemand laut. Kerris fuhr sich mit der Hand durch das Zottelhaar, stand auf und suchte sich einen Weg zwischen den zusammengerollten Schläfern hindurch zum Eingang der Burgküche.
    Ein Ledervorhang trennte die Küche von den Mannschaftsquartieren. Hinter dem Vorhang hörte er Leute sprechen. Er schob ihn beiseite und ging hinein. Es war heiß hier. Man hatte die Herdfeuer bereits entfacht. In einer gekachelten Nische brannte ein Stundenlicht. Hilfsköche mit mehl- und fettbedeckten Händen hasteten an ihm vorbei. Ein Unterkoch in weißer Leinenschürze stand über einem Hackbrett und säbelte Scheiben kalten Schinkens auf eine Silberplatte. Paula stand an der Feuerstelle und streckte die Hände zu den Flammen hin. Kerris trat zu ihr. Er neigte den Kopf und küßte sie auf den Scheitel. »Guten Morgen.«
    Sie blinzelte zu ihm empor. Er war einen Kopf größer als sie. Um die Schultern hatte sie einen dicken braunen Schal geschlungen. »Kerris«, sagte sie. Sie drehte sich wieder zu dem Topf zurück, in dem Tee, Honig und Milch als dicke Suppe dampften. »Trink einen Tee!«
    Er suchte zwischen den aufgereihten hohen Gläsern nach einer Kumme. »Kalt heute morgen«, sagte er.
    »Es ist kalt an jedem verfluchten Morgen.« Sie klopfte den Schöpflöffel am Rand des Eisenkessels ab. »Man glaubt's nicht, daß Frühling ist.«
    Er beugte sich an ihr vorbei und tauchte die Kumme in den Topf. Er schlürfte den Tee, der heiß und sehr süß war. »Es ist fast Sommer«, sagte er. »Bald werden die Kaufleute kommen.«
    Ihre dunklen Augen blitzten. Sie vollführte eine ordinäre Soldatengeste. »Sommer«, murrte sie mit jener Verachtung der Südländerin für das Wetter im Norden. »Sind die droben schon aufgestanden?«
    Sie meinte die Soldaten. Einst war sie selbst Soldat gewesen, vor langer Zeit, und hatte an der Grenze im Süden gestanden. Kerris schüttelte den Kopf. »Bloß ich.«
    Ein hellhaariges Küchenmädchen in einem langen Leinenrock kam aus der Vorratskammer. Sie trug einen Käselaib. Sie lächelte Paula höflich zu und schenkte dem jungen Koch ein etwas wärmeres Lächeln. Dessen Hände bewegten sich auf dem Hackbrett noch schneller. Kerris sah die Magd nicht an. Er hatte damit auch nicht gerechnet. Obwohl er der Herrscherfamilie von Tornor entstammte, war er doch nur ein Schreiber, einer, der unter Anfällen litt, und ein Krüppel, von geringerer Wichtigkeit für die Burg als der geringste unter den Köchen.
    Paula zog die Brauen zusammen. »Möchtest du noch Tee?« fragte sie.
    Er hätte ihr gern gesagt, daß es ihm nichts ausmache, wenn ihn die Frauen der Burg übersahen. Er war daran gewöhnt. Er zog dies der Lächerlichkeit vor, die ihm zuteil werden könnte – ja, die ihm zuteil geworden war, und öfter als nur einmal. Um Paula eine Freude zu machen, tauchte er die Kumme erneut in den honigbraunen Sirup. Ein Küchenjunge öffnete eine Ofentür. Der Duft backenden Brotes verbreitete sich im Raum.
    Der Ledervorhang klatschte. Der Chefkoch kam hereinstolziert. Er hatte dicke haarige Arme wie ein Hufschmied, dafür aber nicht ein einziges Haar auf dem Kopf. Die Küchenjungen nannten ihn (hinter seinem Tücken natürlich) »das Ei«. Er war ein hervorragender Küchenchef, hatte ein Temperament wie eine brünstige Füchsin, griff jedem Küchenjungen zwischen die Beine und haßte Leute, die in seinen Herrschaftsbereich eindrangen. Er funkelte Kerris an: »Raus!« sagte er und befingerte sein vierkantiges Hackbeil. Die Geste war natürlich reine Protzerei,
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