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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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aber Kerris trug sich nicht mit der Absicht, es darauf ankommen zu lassen. Er streichelte Paula über die Schulter.
    »Wir sehen uns später«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
    Rauch stand in seinen Augen, ein Messer lag in seiner Hand. Er roch verbranntes Essen und den schweren Duft von neuem Wein. Er dachte: Mach rasch ein Ende! Er simulierte ein Stolpern über einen Hocker. Sein Gegner grinste und trat vor, um ihn endgültig zu erledigen. Er packte den zustoßenden Arm, schlang den anderen Arm um den Hals des Mannes und zog ihn auf den Boden. Ein Messer fiel klirrend. Verächtlich stieß ein Stiefel es beiseite. Irgendwo schrie leise eine Frau auf.
    Er starrte dem Mann in das rote entsetzte Gesicht. »Ich könnte dir das Genick brechen«, sagte er. »Fällt dir nichts Besseres ein, als mit einem Cheari zu kämpfen?«
    Hinter ihm sagte Ilene: »Sie haben unser Frühstück anbrennen lassen, Kel. Laß uns gehen!«
    Das Bild verschwamm. Er roch Brot. Er war zurückgekehrt. Paula stand vor ihm, alle Haare gesträubt wie eine Katzenmutter, die ihr Junges verteidigt. Die Küchenhelfer gafften ihn alle an. Der Chefkoch blubberte der alten Frau zu: »Ich will in meiner Küche keine Abfälle haben!«
    Kerris sagte: »Mir fehlt nichts.«
    Paula wandte sich zu ihm. Ihre Augen suchten fragend in seinem Gesicht. Es tat ihm leid, daß sie es gesehen hatte. »Es ist nichts«, sagte er. Er ging auf die Tür zur Halle zu. Die Küchenmädchen drängelten sich zusammen wie junge Hunde. Murmelten. Das Ei fuhr sie fluchend an, und sie stoben vor ihm davon.
    Die große Halle in Tornor war groß genug für sechshundert Mann, ohne daß sie sich hätten drängen müssen. Kerris blieb einen Augenblick lang an einer Wand stehen. Wie stets nach einem Anfall fühlte er sich ein wenig desorientiert. Er lehnte sich gegen einen Wandbehang. Darauf war eine Szene aus einer alten Schlacht zu sehen. Josen würde wissen, aus welcher. Kerris wußte es nicht.
    Die Türen zur Halle waren geöffnet. Männer aus den Quartieren kamen herein, rieben sich den Schlaf aus den Augen, und andere, gerade von der Wache abgelöst, stapften unförmig in ihren unordentlichen Schichten von Woll- und Lederkleidung herein. Hunde mit glattem Fell und fahlen schmalen Köpfen rannten tollend um sie herum – Wolfshunde waren das, obwohl es nicht mehr viele Wölfe in der Steppe gab. Im letzten Herbst hatte ein Jagdtrupp einen räudigen Jährling heimgebracht. Man hatte das Fell an der Burgmauer aufgehängt, und alle kleinen Buben aus Tornor-Dorf waren heraufgekommen und hatten das Fell angegafft.
    Jemand schob den Ledervorhang beiseite. Der Duft frischen Brotes schwebte in den Saal. Die Männer stießen einander die Ellbogen in die Rippen. Kerris war der Appetit vergangen. Er schritt den Gang an einem der langen Tische hinunter und stand dem Herrn von Tornor Keep von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    Er verneigte sich. »Guten Morgen, Onkel«, sagte er.
    Morven, der neunzehnte Herr auf Tornor Keep, wirkte glatt und kompakt und besaß das leuchtendgelbe Haar und den blassen Teint seines Geschlechts. Kerris hatte beides nicht geerbt. »Guten Morgen, Neffe«, sagte der Lord. »Bist du von der Wachablösung aufgewacht?« Kerris nickte. Morven wußte nicht (oder tat doch so, als wisse er nicht), daß Kerris zuweilen in den Soldatenquartieren schlief. »Ich wünschte, meine Soldaten wären so pflichteifrig!« Es war als Lob gemeint.
    »Ich danke dir.« Ousel, der zweite Wachoffizier, näherte sich. Sofort wandte sich Morven ihm zu und redete mit ihm. Kerris war entlassen und verzog sich aus dem Saal. Er dachte: Wenigstens besitzt er Taktgefühl genug, mir nicht direkt ins Gesicht zu lachen.
    Während er den Inneren Hof in Richtung auf die Treppe zum Turm des Annalenschreibers durchquerte, suchte er tastend im Innern seines Schädels nach jener Fähigkeit, die ihn mit seinem Bruder in Verbindung setzte. Und wie immer entzog sie sich ihm. Er konnte sie nicht in Gang setzen, ebensowenig wie er ihr Auftreten verhindern konnte.
    Im Schatten der Sonnenuhr spielte eine Dreiergruppe von Kindern das alte Spiel: Papier-Schere-Stein. Kerris verlangsamte den Schritt, als er an ihnen vorbeiging. Dies war eines der wenigen Spiele, die er, das einarmige Kind, hatte mitspielen können, und er war darin so geschickt geworden und hatte so rasch immer gewußt, was die anderen wählen würden, daß sie sich bald geweigert hatten, weiter mit ihm zu spielen. Die Kinder brachen ihr Spiel ab,
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