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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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angebracht.
    Der Wachtturm erhob sich in der südwestlichen Ecke des Inneren Walls. Ursprünglich hatte es nur einen einzigen Zugang gegeben: die Tür im Inneren Hof am Fuße der Treppe. Doch während der Herrschaft der Lady Sorren wurde eine zweite Tür, die zur Schutzwehr führte, gebrochen. Im Licht der Sonne oder im Schein starker Fackeln glitzerte der Stein des Bogens von Glimmereinsprengseln, und man sah deutlich, daß dieses Tor sehr viel später als die Mauern und als die Treppe angebracht worden war.
    Der Posten auf der Treppe hob eine Hand, als sie unter dem Bogen hindurchgingen. »Hei, Kerris.«
    »Tryg!« Kerris lächelte. Tryg war der Sohn von Ousels zweitem Wachoffizier. Er war geschmeidig und breit gebaut und trug das Haar schulterlang und ungebunden auf die alte Weise. Als sie beide acht Jahre alt gewesen waren, waren er und Kerris die allerbesten Freunde gewesen. Sie hatten im selben Bett geschlafen und hatten die ersten sexuellen Spielchen gespielt, wie Kinder das eben tun. »Ich hab' heute das Frühstück übersprungen. Hast du ein Stück Käse?«
    »Sicher.« Tryg suchte in seinen Taschen. Er fand Käse, einen Sauerapfel und einen Kanten Kommißbrot. »Du kannst alles haben.«
    Tryg war stets so großzügig ... Kerris sagte: »Danke!« Er nahm die Nahrung an. Josen war bereits halbwegs bis zum Wächterhaus vorangegangen. Sein Gesicht war in sich verschlossen. Kerris ging hinter dem alten Mann drein und aß dabei.
    Es war gewißlich Frühling. Die Steine an seiner Seite strahlten die Sonnenwärme zurück. Eine leichte Brise ließ die Flaggen klatschen. Sie trugen den roten achtzackigen Stern auf weißem Grund, der seit dreihundert Jahren im Wappen der Lords von Tornor stand. Wachtposten lehnten an der Brustwehr, hatten die Helme abgelegt und schauten nach Süden. Die Wache war im Grunde nur noch eine zeremonielle Angelegenheit. Seit über hundert Jahren hatte es hier im Norden keinen Krieg mehr gegeben. Aber die jungen Männer kamen noch immer aus den Dörfern in die Festung herauf, um das Waffenhandwerk zu erlernen. Diejenigen, denen es lag, zogen dann in den Süden oder Westen und schlossen sich den Wachtrupps der Städte an – in Tezera oder Shanan oder Mahita oder gar Kendra-im-Delta. Und wenn sie dort waren, wechselten einige von ihnen und wurden Kaufleute oder Boten. Der Rest kehrte zu den Höfen und Herden zurück. Nur die alten Männer blieben in Tornor.
    Josen blieb stehen und stützte sich mit dem Ellbogen auf die Mauer. Kerris stellte sich neben ihn und leckte die allerletzten Käsekrumen aus seiner Handfläche. Er hörte die Musik des Flusses. Vom Schmelzwasser aus den Bergen angeschwollen, preßte und peitschte der Rurian sich zwischen seinen Ufern dahin. An dem einen lag breit die Mühle. Das Rad lief noch, doch zum größten Teil wurden die Vorräte für das Fort mit der Windmühle gemahlen und gekeltert, die ein neuerer und größerer Bau war und im Osten der Feste lag. Auf dem Feld zwischen der Burg und der Siedlung zitterten blaue Gänseblümchen wie Flämmchen.
    Einen Augenblick lang erlaubte Kerris sich, an Kel zu denken. Einst hatte er der schweißtreibenden Fechtübung im Waffenhof zugeschaut, und ein Kind in seinem Alter hatte ihn herausgefordert (es hätte sogar Tryg gewesen sein können, aber Kerris mochte dies jetzt nicht denken), und er hatte gerufen, daß es gleichgültig sei, ob er nur einen Arm besitze oder zwei. Sein Bruder sei ein Cheari. Sie hatten ihn so lange geneckt, bis er Kels Namen preisgab, sie hatten ihn umtanzt, boshaft und höhnisch, hatten ihn aufgefordert, zu tanzen wie Kel, zu kämpfen wie Kel. Seit jenem Nachmittag hatte Kerris ihrer beider Namen nur insgeheim und stumm in Verbindung gebracht. Paula und Josen wußten natürlich Bescheid. Und Morven auch. Aber Morven sprach niemals davon. Kerris dachte sich, daß es Morven egal sei. Er hatte Kel nie persönlich kennengelernt, nur über ihn gehört. Ganz Arun hatte von ihm gehört. Aber der Rote Clan verirrte sich nur selten in den Norden. Die Reise quer durch Galbareth bis zu den Grenzfesten war lang.
    Vor fünf Jahren hatte ein Chearas in Tornor auf dem Weg von den Roten Bergen nach Tezera haltgemacht. Kel war nicht bei dem Trupp gewesen. Sie hatten im Waffenhof getanzt. Kerris erinnerte sich an die versengende konzentrierte Grazie, mit der die Chearis sich drehten und wiegten und sprangen. Aber es dauerte noch ein Jahr, ehe er jene plötzlichen und zufälligen Momente erlebte, in denen er in zwei
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