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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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Abschreiben der Geschichten Tornors aus den alten Schriftrollen. Morven hatte dagegen keine Einwände. Er war sogar bereit, für die feinen Haarpinsel und die teure Tinte zu bezahlen, die Josen verlangte. (Die Tinte, die Kerris benutzte, verblich rasch, kostete aber nichts. Kerris fertigte sie selbst aus den Tintenblasen der lokalen Aale an. Josen hatte ihn gelehrt, wie man das machte.) Er schielte auf die oberste Schriftrolle, die Josen gerade entrollte. An manchen Stellen blitzte sie. Einige der Lettern waren mit Gold gemalt, das nun durch den Staub hindurchschimmerte.
    Die alten Nordländerrunen (die eigentlich verderbte Lettern der südlichen Runenschrift waren, wie Josen sagte) liefen die Schriftrollen hinauf und hinunter. Kerris vermochte sie nicht zu lesen. Josen hatte ihn nur die südliche Schrift gelehrt, in der jetzt jedermann schrieb. Die alten Aufzeichnungen in den Grenzfesten waren als einzige Überreste der Nordländerschrift noch vorhanden, und wenn sie alle in südlicher Schrift kopiert sein würden, dann würde kein Mensch sich mehr daran erinnern, daß es einmal eine andere Art zu schreiben gegeben hatte, außer vielleicht ein paar Schriftgelehrten wie Josen.
    Josen tat, als sei nichts geschehen, und nahm seine Pinsel aus dem hölzernen, mit Filz ausgeschlagenen Schreibkasten.
    Kerris suchte nach einem Weg, die Unstimmigkeit zu glätten.
    »Josen?«
    »Hmm?« machte der Gelehrte.
    »Welche Geschichte kopierst du heute?«
    Josen schien sich zu freuen. Der Ausdruck der Verletztheit wich von seinem Gesicht. Er sprach leidenschaftlich gern über seine Geschichtstexte. »Das Leben des Elften Herrn von Tornor.«
    »Wer war er?«
    »Sein Name lautete Kerwin«, sagte Josen. »Genau wie der deines Vaters.« Er schloß den Pinselkasten und legte ihn beiseite. »Der Text besteht zum großen Teil aus Schlachtenbeschreibungen der Kämpfe mit Anhard. Kerwin fiel im Kampf. Das war damals ein ganz gewöhnlicher Tod. Der Große Waffenstillstand wurde erst unter der Herrschaft Athors unterzeichnet. Kerwins Enkel.«
    Kerris sagte: »Hat es jemals eine Zeit gegeben, in der nicht gekämpft wurde?«
    Josen runzelte die Stirn. »Tornor wurde als Festung erbaut. Aber zwischen der Herrschaftszeit Kerwins und der Regierung der Herrin Sorren fehlen die Berichte in den Schriftrollen.«
    Früher einmal hatte sich Kerris der Illusion hingegeben, daß es aufregend sein müßte, an einem Krieg teilzunehmen. Er dachte schon lange nicht mehr so. »War das die Dame Sorren, die die chearis nach Tornor geholt hat?«
    »Es hat nur eine einzige Sorren von Tornor gegeben«, sagte Josen.
    Kerris nickte. Er erinnerte sich. Josen hatte ihm die Historie aus der Rolle vorgelesen. Sorren von Tornor hatte einen cheari zum Meister des Waffenhofes ernannt, und während ihrer Regierung (und danach während der Herrschaft ihrer Tochter Norres) war Tornor zum Sammelpunkt für diese chearis geworden.
    »Woher kamen sie?« fragte er.
    Josen warf ihm einen finsteren Blick zu. »Du kennst die Legenden. Die Chearis kamen aus dem Westen, aus Vanima, dem Land des ewigen Sommers.«
    »Und wie hat die Herrin Sorren sie nach Tornor geholt?«
    »Das steht nicht in den Berichten«, sagte Josen. Er schnaubte. »Alle Geschichtsschreiber stimmen darin überein, daß die allerersten Chearis Südländer waren. Aber die Legende von Vanima hält sich weiter. Selbst heute noch sprechen die Chearis davon, als wäre es ein wirklich existierender Ort.« Er nahm seinen Pinsel und richtete ihn wie einen Dolch auf Kerris. »Es ist äußerst frustrierend.«
    »Was ist frustrierend?«
    »Daß die Berichte so unvollständig sind.«
    Kerris nahm ein Blatt Papier von seinem eigenen Stapel. Die Blätter waren dick und rauh, sie waren aus gepreßten Leinenlumpen und dem Schilf des Flusses gefertigt. Die graue Tönung ließ ihn an Paula denken. Sie wurde langsam alt. Er hoffte, der Vorfall in der Küche möge sie nicht zu sehr beunruhigt haben. Sie machte sich immer Sorgen um ihn ... Sie hatte ihn nach dem Tode seiner Mutter in den Norden gebracht, und wenn sie es auch niemals aussprach, so wußte er doch, daß sie um seinetwillen in Tornor geblieben war.
    »Wer war der erste Cheari?« fragte er.
    Josen kratzte sich an der Nase. Er benutzte dazu das hölzerne Stielende seines Pinsels. »Das wissen wir nicht«, sagte er. »Die Chearis wissen's vielleicht, aber die reden darüber nicht mit den Schreibern.« Er wurde ganz streng. »Unaufgeschriebenen Berichten darf man keinen Glauben
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