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Ich war der Märchenprinz

Ich war der Märchenprinz

Titel: Ich war der Märchenprinz
Autoren: Arne Piewitz
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linke frau, 24, möchte gerne unmännliche männer, gerne jünger, kennenlernen, chiffre 9003

    Ich kratze mich am Sack. Der reagiert nicht. Kratze mich nochmal, dann juckt es nicht mehr. Das ist so ein Reflex bei mir: immer, wenn mich was unheimlich direkt anmacht, juckt der Säbel und ich muß mich durch das Loch in der Hosentasche durchfummeln. Säbel nehme ich zurück. Keule sag’ ich besser auch nicht — Frauen fühlen sich da leicht abgestoßen, und das muß ja nicht sein. Ok, also meine Gute-Gabe-Gottes hat gejuckt, einverstanden?
    Linke Frau, 24? Irgendwie stehe ich auf lila Latzhosen. Meistens ist die Sensibilität dadrin höher entwickelt als in so’m Cocktailkleidchen. Das ist wie bei den Männern — da sind die im schlabbrigen Unterhemd auch echt weiter als die mit dem Samsonite-Koffer.
    Unmännliche Männer will sie gerne kennenlernen. Gleich mehrere, einer genügt nicht. Aber das muß kein Fehler sein, wenn die Frau selbst rechtzeitig für Entlastung sorgt. Ich muß ja wirklich nicht der alleinige Inhaber sein, so’n Besitzdenken will ich gar nicht erst in mir hochkommen lassen. Ich teile gern, irgendwie werden wir eines Tages sowieso alles vergesellschaften. Das mit dem »unmännlich« geht sowieso klar. Ich meine, ich weiß, was sie meint:
    Sie sucht einen, der sie nicht unterdrückt. Sie nicht, und andere Frauen auch nicht. Und der einen Blick dafür hat, wenn überhaupt irgendwo Frauen unterdrückt werden. Und der sich dann irgendwie solidarisch verhält. Ich meine, mir ist schon klar, daß ein unmännlicher Mann nicht unbedingt gleich eine Frau sein muß. Unmännlich sein heißt ja wohl nicht: Titten zeigen, aber dafür den Schniepel abschneiden. Das muß man eben schon schnallen, daß unmännlicher Mann nicht dasselbe ist wie Frau. Eine unweibliche Frau ist ja auch nicht gleich Mann, oder? Allerdings, ich weiß gar nicht genau, ob’s sowas überhaupt gibt: unweibliche Frau. Das ist im Prinzip auch ziemlich egal, das ist für mich überhaupt kein Thema. Auf jeden Fall ist unmännlicher Mann weder gleichzusetzen mit männlicher Frau noch mit weiblichem Mann. Darüber brauchen wir nicht mehr zu reden, der Stand der Diskussion ist da schon ein ganzes Stück weiter. Wenn die linke Frau, 24, die diese Anzeige aufgegeben hat, das kapiert hat, kann man bestimmt in Ruhe mit ihr Spazierengehen. Das ist wichtig, daß der/die, mit dem/der man spazierengeht, auch mal das Maul halten kann...
    Eine Zweierbeziehung brauche ich im Moment nicht. Vielleicht einige Frauen, mit denen ich mich ganz gut verstehe, und mit denen ich auch ab und zu mal schlafen kann.
    Ich kann meine Sexualität in solchen lockeren »Beziehungen« echt gut einbringen. Mir nachts — Scheiße, ist das ein geiler Tipfehler! — mir machts überhaupt nichts aus, mich nur benutzen zu lassen. Warum soll sich so ein ganz normaler unmännlicher Mann nicht auch mal als Dienstleistungsunternehmen verstehen?
    Unsere Gesellschaft wird regiert von Angebot und Nachfrage. Da schlage ich mich eben erstmal auf die Seite vom Service: »Zufrieden? Na fein. Gib mal Deine Nummer, ich ruf Dich in den nächsten Tagen wieder an.«
    Ich kratze mich am Sack. Ich könnte mich natürlich auch am Kopf kratzen, aber der Sack ist mir nunmal näher.

    Natürlich finde ich diese Situation nicht gerade ideal. Ich bin gerne richtig verknallt, so mit Anfassen und Kuscheln und Herzklopfen und Sehnsucht und In-die-Augen-Gucken und Eifersucht und Es-überhaupt-nicht-Aushalten und Sofort-Heiraten-Wollen und stundenlang Streicheln und Angst, wenn SIE nur über die Straße geht, weil am Horizont ein Auto auftaucht, und gemeinsam aufwachen und immerzu scharf sein und einen Herzanfall kriegen, wenn man nur IHR Schamhaar berührt, und über alles reden können. Reden, natürlich, und streiten, das gehört auch dazu.

    So ein Zustand, ein oder zwei Mal im Jahr, das wäre schon optimal. Jedenfalls wesentlich optimaler als diese handelsüblichen Beziehungskisten. »Beziehung« — was heißt das schon? Das ist doch irgendwie ein Ausdruck aus dem Geschäftsleben — Handelsbeziehungen, friedliche (im Fernsehen sagen sie »bilaterale«) Beziehungen, gespannte Beziehungen, Wohnung beziehen, Betten beziehen, Rente beziehen. Beziehung. Scheiße. Beziehungsscheiße. Und die »läuft ab«. Aber da steckt man drin, und da kommt man auch nicht raus. »Echte« Beziehungen kenne ich nur ganz wenige. Müßte man vielleicht auch »Liebe« hinschreiben — aber wer tut das schon? Wer traut
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