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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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von seinem Genie überzeugen.
    Die Prinzipalin, die stark abgenommen hatte, kam mit einem Tablett selbstgeschmierter Brote. Aber sie entschuldigte sich, sie sei wegen der bevorstehenden Premiere am Ende ihrer Kräfte und könne daher nach der Vorstellung im eigenen Haus nichts veranstalten, man hätte im besten Restaurant der Stadt reserviert. »Aber sei nicht böse, wenn ich so fertig sein sollte, dass ich überhaupt gleich schlafen gehe.«
    An der Abendkasse brach das Chaos aus. Auf Grund irgendeines Organisationsfehlers waren für das
Kleine Haus
viel zu viele Reservierungen angenommen worden. Einige Besucher wollten sich nicht abweisen lassen und tobten, andere gingen sofort und erklärten, diesen
Sauladen
endgültig nie mehr betreten zu wollen. Wir hörten die Beruhigungsversuche der Prinzipalin und vom Prinzipal einmal den Satz, er hätte wirklich andere Sorgen, als sich um den Kartenvorverkauf fürs
Kleine Haus
zu kümmern.
    Das Auditorium bot einen ungewöhnlichen Anblick.
    Links und rechts vom Parkett saßen viele Leute, sogar auf dem Boden, in der Mitte des Parketts waren hingegen Plätze frei.
    In der Pause teilte mir der Prinzipal im Zustand höchster Erregung mit, der Kulturpolitiker, das
Oberschwein
, ich wüsste schon, säße in der Vorstellung. Es bestünde die Gefahr, dass der Mann nach der Vorstellung mit uns ins Restaurant gehen wolle. Ich solle das verhindern. Ich musste bedauern. Wer nachher noch mitginge und wer nicht, läge außerhalb meiner Kompetenz.
    Da saß also dann eine kleine Gesellschaft an einem reservierten Tisch in einem auf chic getrimmten Pseudoitaliener, zum ersten Mal – wie mir schmerzlich auffiel – eine reine Männergesellschaft. Die Prinzipalin hatte nur mehr grüßen lassen.
    Der Kulturpolitiker machte – wohl nur aus Höflichkeit – zunächst den Versuch, über die gesehene Vorstellung zu sprechen. Der Prinzipal ließ das aber nicht zu. Er raunte mir ins Ohr, er würde mir jetzt vorführen, welch ein
Arschloch
der Politiker sei, und begann den Mann mit Anklagen wegen mangelhafter Unterstützung und Unterbewertung des
Theaters im Ort
zu provozieren. Der Kulturpolitiker bewies, wie gut er sich in den paar Jahren in die Materie eingelesen hatte. Er entgegnete nicht ungeschickt. Vor allem konterte er jede Anschuldigung des Prinzipals mit immer genaueren Informationen über Misswirtschaft und mangelhafte Kalkulation. Er wollte vor der Gesellschaft – vor allem vor den Leuten des Gastspiels – nicht wie ein Idiot dastehen.
    Ich wurde Zeuge einer großen Abrechnung. Ich war dem Prinzipal willkommenes Publikum. Er wollte den Kulturpolitiker blamieren und gleichzeitig mir, dem Skeptiker, Größe und Bedeutung der Erfolge –
trotz der unüberwindbaren Schwierigkeiten
– vorführen. Er warf dem Kulturpolitiker vor, zu jenen zu zählen, die gerne in der Zeitung vom überregionalen Ruf des
Theaters im Ort
läsen und sich damit brüsteten, es im entscheidenden Moment aber an der Unterstützung fehlen ließen.
    »Du hast dich an unseren Erfolg angehängt«, machte der Prinzipal das Gespräch zur Szene. »Ich habe in dieser Einöde, in dieser Wüste, für Erlösung gesorgt, ohne mich gäbe es das alles nicht, ohne mich und meine Frau.«
    Mich wunderte, dass er seine Frau doch noch erwähnte.
    »Das bestreitet ja niemand«, sagte der Kulturpolitiker mehr zu mir als zum Prinzipal. »Das ändert aber alles nichts an der Tatsache, dass die Baukosten für das
Klassikerprojekt
viermal höher sind als der Voranschlag, dass mir die Kontrollbeamten, und ich habe nun einmal Kontrollbeamte, nicht mehr mitspielen. Wenn ich jetzt nicht einschreite, stirbt das
Theater im Ort
, und das kann und will ich nicht zulassen. Vielleicht ist das jetzt der richtige Moment, um zu erklären, dass wir das
Theater im Ort
auf eine neue organisatorische Basis stellen. Wir werden die Theaterleitung ins Kulturamt verlegen, deine Frau wird aus dem Theater ausscheiden und ins Kulturamt übersiedeln, und aus dieser Position …«
    In dieser Sekunde flog die Faust des Prinzipals auf die Nase des Kulturpolitikers, der mit seinem Stuhl nach hinten kippte. Während er sich völlig belämmert ein wenig Blut von den Nasenlöchern wischte, verlor der Prinzipal völlig die
Façon
.
    »Bumst sie wirklich so toll? Warum hat sie das dann bei mir die ganzen Jahre geheim gehalten? Oder hast du Arschloch wirklich geglaubt, ich bin in der ganzen Gegend der Einzige, der von euch beiden nichts weiß?«
    Zum Frühstück kam diesmal
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