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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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Die Socken des Kritikers
    Die Bühnenbildnerin war eines der von der Natur mit überreichen Gaben ausgestatteten Geschöpfe. Sie war bildschön, groß, schlank, biegsam, rehäugig, sprach mit einer wunderbaren leicht abgedunkelten Stimme, die nur beim Lachen ganz hell wurde. Sie war Tochter eines berühmten Bildhauers, hatte es aber keineswegs dem Namen ihres Vaters zu verdanken, an der besonders guten und daher von vielen begehrten Akademie aufgenommen worden zu sein. Nein, es waren ihre eingereichten Blätter, die das Kollegium sofort von einer Ausnahmebegabung sprechen ließen.
    Nach kurzer Studiendauer schon hatte sie als Assistentin eines – von ihr immer schon verehrten – internationalen Spitzenmannes beginnen können, und nicht, weil sie sich angeboten hatte, nein, weil er gekommen war und gesagt hatte: »Hätten Sie Lust, bei mir mitzuarbeiten?«
    Männer konnte sich dieses Mädchen – wen wundert das nach der bisherigen Beschreibung – aussuchen. Sie aber machte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, denn sie hatte ihre große Liebe schon gefunden, einen Medizinstudenten, Mitglied des Nationalkaders der Florettfechter, Sohn einer alteingesessenen Gutsbesitzerdynastie, ein Bild von einem Mann. Die Freundschaft mit diesem jungen Mann bot als Freizeitwert, als Ergänzung des Wesentlichen, noch den offenen Sportwagen, das verschwiegene Jagdhaus und den Wanderweg am Privatbach. Wenn von uneingeschränktem Glück gesprochen werden kann, dann von dem dieses Paares.
    Denn – und das hat bei aufgeklärten, intelligenten jungen Menschen mit Glück zu tun – die beiden hatten nicht übermäßig viel Zeit füreinander, sie liefen nie Gefahr, aneinander zu kleben. Sein Medizinstudium erforderte im Verein mit dem Fechttraining viel Zeit, die Bühnenbildnerin war, dem Meister immer unentbehrlicher werdend in Sachen Assistenz, des Öfteren in anderen Städten, auch schon in Übersee.
    Das Thema Treue behandelte sie unpanisch. Man wusste, man lebte füreinander, jedes Wiedersehen war die Bestätigung, immer ein großes, romantisches Fest.
    Die Bühnenbildnerin war auch – das zu vergessen wäre für die Erzählung verhängnisvoll – ein besonders gut gekleidetes Mädchen. Natürlich fällt es schönen, quasi dem Katalog entstiegenen Körpern leichter, sich zu umhüllen, eine Person dieser Bauart kann in die besten Läden gehen, mit dem Finger auf ein Stück zeigen und das Geschäft mit einer passenden Sache verlassen. Aber wenn wir von Geschmack sprechen, dann zielen wir höher. Dann meinen wir das Definieren des eigenen Typs, das Schaffen von Unverwechselbarkeit durch Zuordnung von Schnitten und Farben.
    Nun, was dieses Mädchen trug, war das Unauffälligste an unübersehbarem Chic, das vorstellbar ist. Von dieser ihrer Unfehlbarkeit profitierte auch ihr Freund, der Medizinstudent und Florettfechter, sehr, denn der kam in modischer Hinsicht aus einer langweiligen Gutsherrentradition, der er sich allzu auffallend und allzu trendbewusst widersetzte. Liebevoll redete die Bühnenbildnerin ihm seine Zeitgeistgewandungen aus, meist, indem sie ihm Alternativen schenkte, die auch nicht konventionell, aber eben schön waren.
    Idyllen der geschilderten Art sind befristet, wenn sich die berufliche Karriere mit ihren Gesetzmäßigkeiten einstellt. Es kam der Tag, an dem ein Opernregisseur, der die Bühnenbildnerin als schon sehr selbständig arbeitende Assistentin ihres Meisters kennengelernt hatte, Intendant eines Staatstheaters wurde, dort das seiner Meinung nach allzu eingesessene Personal entließ und Platz für Neuengagements schuf. Frei war so auch eine erste Position im Ausstattungswesen geworden, und die bot der Intendant der schönen Bühnenbildnerin an.
    Es ist seltsam in diesen Berufen. Man arbeitet auf den Tag eines derartigen Angebotes hin, hofft darauf, rechnet damit, wird aber doch wie vom Blitz getroffen, wenn es kommt. Denn eine Absage wäre vor der Karriere kaum zu verantworten, eine Zusage aber bedeutet einen Ortswechsel, bedeutet eine schwere Prüfung für eine Beziehung, besonders wenn sie die große Liebe ist.
    Die Bühnenbildnerin besprach sich mit ihrem Medizinstudenten und Florettfechter. Der sagte: »Wenn dir so dran liegt, dann mach es, irgendwie liegt es zeitlich ideal, ich habe jetzt meine – hoffentlich – beiden letzten Semester vor mir, ich muss lernen wie ein Irrer, mich haben die letzten Trainingslager auch arg viel Lernzeit gekostet, mach’s, ich besuch dich, wie ich kann, was sind acht
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