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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor
Autoren: Philipp Vandenberg
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15. M ÄRZ 1939
     
     
     
    Natürlich regnete es auf der Fahrt nach Soho. »Wie immer um diese Zeit!« meinte der Taxifahrer entschuldigend und warf einen flüchtigen Blick durch die Scheibe nach hinten. Die alte Dame war eine gepflegte Erscheinung, wohlhabend, aber nicht reich, gerade so, daß man ein anständiges Trinkgeld erwarten konnte. Reiche Leute geizten mit Trinkgeldern, das war eine alte Erfahrung. Und nach zwanzig Jahren am Steuer konnte man ihm da kaum etwas vormachen.
    »Das hat doch nichts mit der Jahreszeit zu tun!« korrigierte die alte Dame den Fahrer. »In Notting Hill ist das Wetter viel besser. Es muß an Soho liegen.«
    »Sie mögen Soho nicht, Madam?« fragte der amüsierte Fahrer nach hinten.
    »Warum soll ich Soho nicht mögen!« entrüstete sich die alte Dame, »ich finde nur, daß es in Soho öfter regnet als anderswo.«
    Der Taxifahrer ließ es dabei erst einmal bewenden, und sein Fahrgast widmete sich der Betrachtung der riesigen bunten Kino- und Theaterplakate an den Fassaden. Im »Leicaster Square Kino« lief zum letzten Mal »Frankensteins Sohn« mit Boris Karloff in der Titelrolle. Im »Haymarket Theater« standen Rex Harrison und Diana Wynyard in »Design for Living« auf der Bühne, und im Piccadilly gegenüber dem Regent Palace Hotel brillierten Mackenzie Ward und Eileen Peel in dem Stück »French without Tears«.
    Wie immer um die Nachmittagszeit waren alle Straßen um Piccadilly Circus verstopft; aber der Fahrer benützte einige Seitenstraßen und brachte plötzlich und für die alte Dame völlig unerwartet sein Taxi vor einem Hoteleingang zum Stehen.
    »Einmal ›Ritz‹«, rief er vergnügt, »fünf Shilling, Madam!«
    Er hatte sich nicht getäuscht, denn die Lady reichte ihm sechs und stieg aus, nachdem ein Portier in roter Livree die Wagentüre geöffnet hatte.
    Sie wirkte unsicher in der Halle des »Ritz«, und sie gab sich auch keine Mühe, ihre Unsicherheit zu verbergen. Mit leichtem Kopfnicken nach allen Seiten erwiderte sie die Ehrbezeugungen des Personals. Schließlich steuerte sie mit kurzen Schritten energisch auf einen vornehm wirkenden Herrn im Frack zu, der ihr mit hinter dem Rücken verschränkten Händen entgegenlächelte.
    Sein schütteres, silbergraues Resthaar war mit Brillantine der ovalen Kopfform angepaßt und ließ ihn jenseits der fünfzig erscheinen. Trotzdem redete die alte Dame ihn mit den Worten an: »Junger Mann, führen Sie mich in den Tea-Room.« – Was den »jungen Mann« betraf, so pflegte sie jeden Mann so zu bezeichnen, der nicht älter war als sie.
    »Zum Tea-Room, sehr wohl, Madam!« dienerte der Angesprochene, und dabei machte er eine ausholende Armbewegung, als wolle er einen Halbkreis vor seinem Bauch beschreiben.
    »Aber langsam!« mahnte die resolute Dame und stieß mit ihrem Stock heftig auf den Teppich. Ihre Erscheinung hatte etwas von der herben Schönheit, die ein langes Leben in ein Gesicht zeichnet und die alten Damen einen eigentümlichen Reiz verleiht. Sie trug einen altmodischen Hut, der ihr etwas Unnahbares verlieh, und ein tailliertes, grünes Kostüm mit beinahe knöchellangem Rock. In der Halle des mondänen Hotels wirkte sie zweifellos etwas unmodern.
    Aus der Glastüre, die zum Tea-Room führte, worauf ein Schild aus poliertem Messing hinwies, trat ihr ein Ober im Cut entgegen mit einer aufgesteckten Süßwasserperle im Plastron. Darüber hinaus war allein sein Gesichtsausdruck erwähnenswert, dessen Ernst und Strenge nur von jenem übertroffen wurde, welchen die Konservativen im Parlament seit geraumer Zeit an den Tag legten.
    »Junger Mann«, sagte sie, noch bevor der gestrenge Ober etwas fragen konnte, »ich bin hier mit Lady Evelyn Beauchamp verabredet. Ich bin wohl zu früh?«
    Entgegen jeder Erwartung erhellte sich das Gesicht des Obers, und in einem Anfall von Entzücken, den man ihm nie zugetraut und schon gar nicht erwartet hätte, erwiderte er: »O nein, Madam, die Damen sind bereits zugegen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
    Im Tea-Room glänzte dunkles Mobiliar, und der Raum wurde von gelben Lampenschirmen aus Schafsleder in diffuses Licht getaucht. Aus dem Halbdunkel löste sich eine Gestalt. Es war Lady Evelyn, die ihr entgegentrat. Ihr graues, zweireihiges Kostüm mit feinen hellen Streifen kleidete sie vorteilhaft, und ein Topfhut, den sie tief ins hellgeschminkte Gesicht gedrückt hatte, verlieh ihr ein jugendlich-keckes Aussehen.
    »Mrs. Jones!« rief die Lady und streckte ihr beide Hände entgegen.
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