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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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etwas anderes machen sollten. Sie seien sich nicht einig gewesen, jeder habe der Entscheidung des anderen misstraut. Ein leicht Lallender kam hinzu und erklärte dem Architekten, so ein Tormanntalent wie ihn habe es seit damals nie mehr gegeben. Nie mehr!
    Wie Stolz foltern kann.
    Der Center saß in der Umkleidekabine und malte sich das Schlussdrittel aus. Was der Trainer herumbrüllte, drang nicht bis zu ihm. Er würde die taktische Anweisung jetzt lockerer begreifen, mehr riskieren wollen, nahm er sich vor. Er griff in die kleine Tasche im Futter seiner Sporttasche und fingerte eine vierte Tablette heraus. Er schluckte sie vor aller Augen. Niemand schien es zu bemerken.
    Zwei Minuten vor Schluss der immer härteren Partie handelte sich einer der Stadtlinger eine Strafzeit ein. Die Mannschaft war bis zum Spielschluss in der Unterzahl.
    Ich schlage diesen primitiven Idioten tot, dachte der Architekt. Wie kann einer nur so blöd sein?! Jetzt verlieren wir wegen dieses Arschlochs!
    Die Unterzahl der Heimischen machte die Gegner unvorsichtig. Sie rannten planlos und überstürzt an. Der Center sah voraus, sein finnischer Verteidiger würde an die Scheibe kommen, und stahl sich auf Verdacht zur blauen Linie. Der Pass kam beinhart, aber genau. Der Center nahm ihn an und fuhr – er hatte das Gefühl, die Lungen kämen ihm bei den Ohren heraus – auf das Tor zu. Die in das Hirn eingekerbten Programme sagten ihm, zum Umfahren des Tormannes fehlt schon die Kraft, es gibt nur mehr eine Möglichkeit: blind draufzuhauen. Er schoss ein Tor, wie man es in jeder Saison nur einmal schießt.
    Der Architekt wischte sich die Freudentränen aus den Augen. Er hatte gesiegt. Er persönlich.
    Im VIP-Raum überbordete die Stimmung. Er war viel zu klein für die Vielen, die da feiern wollten. Bier und Sekt flossen, die Platten mit den Hühnerbeinen und den Koteletts mussten im Nu erneuert werden. Der Krach war an der Obergrenze des Erträglichen. Nach und nach kamen die Spieler, je nach Verdienst akklamiert. Der Center wurde gefeiert. Der sah und erkannte sofort seinen Tormann von einst. Der Mann, von dem er erfahren hatte, er sei der geniale Entwerfer der neuen Eishalle. Die Männer umarmten einander, als ob sie immer schon die innigsten Freunde gewesen wären. In dieser Sekunde waren sie es. Rückwirkend.
    Sie standen in Rauchschwaden.
    »Wird im neuen VIP-Raum der Abzug funktionieren?«, fragte schwer atmend der Center.
    »Sicher. Aber es wird wohl Rauchverbot geben.«
    »Schön wär’s!«
    Nach zwanzig Minuten waren sie sich einig, hier abhauen zu wollen.
    »Ich weiß ein Landgasthaus. Der Wirt ist ein Fan.«
    Sie fuhren in der Nobelkarosse des Architekten. Der Center gab den Weg an.
    »Schönes Auto. Du hast es geschafft!«
    »Was habe ich? Einen Dreck habe ich!«
    Nebel fiel ein. Sie hatten sich auf die Abzweigungen zu konzentrieren.
    Sie saßen in einer beinahe leeren, holzgetäfelten, synthetisch auf alt getrimmten Gaststube. Aus dem Raum für geschlossene Gesellschaften drang Lärm. Der Bowling-Club feierte sein zehnjähriges Bestehen. Hinter der Theke stand eine hübsche Serviererin.
    »Nicht schlecht!«, sagte der Architekt.
    »Fad.«
    »Weißt du schon?«
    »Ja, weiß ich schon.«
    Der Wirt, ein schleimiger, überhaupt nicht in seine ländliche Kleidung passender Typ, bedauerte unendlich, wegen der Bowling-Feier nicht dabei gewesen zu sein. Aber er wusste natürlich das Ergebnis und wollte den Schützen des Siegestreffers einladen. Es käme eine Platte mit den Spezialitäten der Region. »Alles hausgemacht«, log er.
    Als die beiden ihre ersten Biere intus hatten – das Verhältnis im Trinktempo war 3:1 für den Center –, kam die Platte. Ein Berg von Blut- und Leberwurst, Hartwurst, Schinkenspeck, Räucherkäse, Rettich, Zwiebel, Pfefferoni, Schmalz, dazu Landbrot.
    »Das kann ich alles nicht essen«, sagte der Architekt, als der Wirt mit seinem »Und jetzt einen recht guten Appetit!« gegangen war. »Mein Magen rotiert schon beim Anblick.«
    »Bis auf die harte Wurst esse ich alles«, meinte der Center und drückte mit zwei Daumen die Prothese am Oberkiefer fest.
    Der Architekt schluckte eine Magentablette.
    »Den Käse kann ich ja probieren.«
    Es begannen die »Weißt du noch, wie« – und die »Kannst du dich noch erinnern, wie« – Gespräche. Spiele von damals wurden noch einmal durchgespielt, Siege gerühmt, Niederlagen wegen des Versagens von Kollegen als unausweichlich erkannt. Heroen und Nieten, wunderbare
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