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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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überdimensionalen, scheußlichen Socken. Sie zog den Männern Sockenmasken über das Gesicht, und diese Masken hatten das Aufsteigerkaro in der penetranten Farbkombination. Zum krönenden Abschluss ihrer Rache zeichnete sie den Kritiker von hinten und karierte seine Arschbacken.
    Im Hochgefühl befreiender Aggression träumte sie in dieser Nacht von Männern in entlarvenden Socken. Die Socken waren ihrer Seele zum Symbol der geschmacklichen Gegenwelt geworden.
    Zwei Tage später reiste der Medizinstudent und Florettfechter an. Selig sah sie ihn schon hinter der Wagentür stehen, bevor der Zug nur wenige Meter danach stillstand. Strahlend lächelte sie ihm entgegen, voll von Geschichten, die erzählt werden, voll von Zärtlichkeiten, die gelebt werden mussten. Sie sah, wie er die Tür öffnete, den einen Fuß auf die Treppe setzte, sich mit dem anderen lässig herunterschwang, und konnte es nicht übersehen: Er trug die Socken. Identisch in Farbe und Dessin.
    Eine Stunde später, als das stattfand, was in der Fachliteratur das Vorspiel genannt wird, stand sie plötzlich vom Bett auf, entzog ihre makellosen Brüste seinem Blick und sagte: »Tut mir leid, aber das wird nichts mehr.«
    Von diesem Tag an verliefen weder Karriere noch Liebesleben der schönen Bühnenbildnerin so geradlinig wie bisher.

Kostüm und Maske
    Wir hatten für das Finale der Show einen grandiosen Einfall. Er war zwar so alt wie wahrscheinlich das Theater, aber das hinderte uns nicht daran, ihn grandios zu finden. Der Star sollte sein Schlusslied singen, im Spot frontal zum Publikum abgehen, durch die Mitte des Vorhanges verschwinden, um dann, nachdem ein Lichtwechsel eine Illusion geschaffen hatte, mit dem Rücken voraus wieder durch einen Vorhang zu kommen – und zwar auf die
Hinterbühne
. Das Nachspiel der Show fand also
hinter
dem Vorhang statt, für das echte Publikum sichtbar, während
vor
dem Vorhang die Show sozusagen weiterging. Um diesen Effekt noch sinnlicher zu machen, hatte der Ausstatter den wunderbar gemalten Vorhang nicht zu hoch bauen lassen, über ihn hinweg waren noch Raum und Licht spürbar, das Publikum konnte ahnen, woher die Geräusche einer Vorstellung drangen, die der Star, sich auf der Hinterbühne abschminkend und umkleidend, noch einmal nachempfand.
    Aber dann sagte einer bei einer Probe: »Freunde, das reicht nicht, es muss auf der imaginären Bühne hinter dem Vorhang etwas stattfinden, man muss die nächste Nummer spüren, es könnten Kunstradfahrer auf dem Hochrad sein, die wie verrückt ihre Runden drehen, da würde das Publikum dann die Bewegung der Hüte sehen oder deren Schatten am Horizont, oder noch besser: wir engagieren irgendeinen Jongleur, der uns seine Ringe und Keulen in die Lichtkegel wirft.«
    Das ist gut, fanden wir alle, wir lassen über den oberen Rand des Vorhanges Ringe und Keulen tanzen.
    Als der Star von der Idee erfuhr, hatte er kurz Sorge, die tanzenden Ringe und Keulen könnten von seinem Epilog zu sehr ablenken, aber wir beteuerten, Ringe und Keulen würden sozusagen nicht zu sehen sein, das beruhigte den Star, der dann auch nicht mehr wissen wollte, wozu man einen Jongleur braucht, wenn man nicht einmal sieht, was der jongliert.
    Das Betriebsbüro setzte sich mit einer Artistenagentur in Verbindung, stellte den nicht besonders schmeichelhaften Umfang dieser künstlerischen Aufgabe klar, meinte aber zu Recht, einem zur Zeit arbeitslosen Jongleur könnte der Verdienst nicht ungelegen kommen.
    Dem Theater wurde auch bald ein Artist angekündigt, der sich für den Job zur Verfügung stellen wollte. Er trug einen jener wunderbaren Namen, die alle so klingen wie
Pimpinello
oder
Limettini
, war aber ein sehr alter, sehr magerer und glatzköpfiger Mann, einer, dem man einen Lebensabend gewünscht hätte, in dem er sich nicht veranlasst sehen müsste, nicht sichtbar, hinter einem Vorhang, Keulen und Ringe in die Höhe zu werfen. Zudem sah er mit seinem allzu runden Rücken schon so bemitleidenswert aus, dass es für ihn wohl besser schien, nicht mehr körperlich sichtbar vorgeführt zu werden.
    Ruhig und verständnisvoll hörte sich der Jongleur an, was man von ihm wollte, ließ sich die Musik vorspielen, zu der er seine Utensilien in die Höhe zu werfen hatte, schlug vor, bei diesem oder jenem Akzent ganz besonders hoch zu werfen, war von geradezu rührender Ambition.
    Die Richtigkeit der Idee stellte sich schon bei der ersten Probe heraus. Wir sahen aus dem Zuschauerraum, wie der Star, die
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