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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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Ehrentitel Menschen zu verleihen, die keine wollen und keine brauchen.
    Meine erste Begegnung mit dem Prinzipal, seiner Frau, der Prinzipalin, und deren
Theater im Ort
war die schönste. Es ist unerheblich, ob man sich damals an unseren Agenten gewandt oder ob unser Agent etwas von diesem neuen kleinen Theater gehört hatte, das so schön auf der Strecke lag.
    Jedenfalls führte uns die Tournee in den Ort abseits der großen Autostraße, schon etwas in Höhenlage, inmitten eines Postkartenpanoramas, mit Wald, Bergspitzen, Schäfchenwolken. Alles blitzte vor Sauberkeit, der Hauptplatz war ein richtiger Hauptplatz mit zwei traditionsreichen Gaststätten und einer unaufdringlichen Kirche. Dass man von dem Ort noch nichts gehört hatte, lag daran: Er war als Luftkurort wohl nur für einen kleinen Kreis von Erholungssuchenden interessant und beherbergte keine Industrie und kaum größeres Gewerbe. Eine in der Nähe liegende Kleinstadt bot alle diese Arbeitsplätze für die, die im Ort kein eigenes Geschäft hatten.
    Nahe dem Hauptplatz hatte es aber einmal eine kleine Fabrik für Seile, Taue, Stricke und dergleichen gegeben, die weniger wegen schlechter Geschäfte, eher wegen fehlender Erben stillgelegt worden war. Mit der Fabrikhalle – das Wort
Halle
soll keine übertriebenen Größenvorstellungen auslösen – und dem umgebenden Gelände konnte die Gemeinde nichts anfangen, Interesse von Käufern war auch nicht vorhanden.
    Da hatte der Prinzipal die Idee für sein
Theater im Ort
. Er war über Umwege zur Kunst gelangt. Vorzugsschüler am humanistischen Gymnasium in der Hauptstadt, gewann er die nationalen Jugendmeisterschaften im Schiabfahrtslauf, kam nach dem Abitur in den A-Kader der Senioren, bestritt einige der schwersten Rennen des Schizirkus mit stetig besseren Platzierungen, fiel den Fernsehkommentatoren oft durch seinen ungewöhnlich aggressiven und riskanten Fahrstil auf und zerriss sich – knapp vor dem endgültigen Durchbruch zum Spitzenstar – sämtliche Bänder im Bereich des rechten Knies. Die Sportkarriere war zu Ende.
    Für eine Ausbildung zum Schauspieler – davon hatte er während des Gymnasiums öfter geträumt – schien der Prinzipal sich nun zu alt, das Studium der Soziologie – lange in Erwägung gezogen – war ihm dann doch zu langweilig.
    So zog er mit seiner Frau in das ererbte Haus in dem Ort, in dem wir gastieren sollten, und baute sich eine passable Existenz als überregionaler Sportkolumnist und PR-Texter auf.
    Seine verdrängte Liebe zur Bühne hätte wohl nicht ausgereicht, um auf die Idee mit dem Theater zu kommen. Aber die Prinzipalin, als Mutter von zwei Kindern noch so schön, dass es einem die Luft nahm, sie sich als Mädchen vorzustellen, hatte vor ihrer Heirat in einer Theater- und Tourneeagentur gearbeitet und kannte die Leute und viele Geschichten von den Leuten, zu denen er gehören wollte.
    So entwickelte er eines Tages, nachdem er in einem Feuilleton von irgendeinem neuen Fabriktheater in Sowieso gelesen hatte, die Idee, in der alten Seilfabrik eine Bühne zu installieren.
    Was er nicht wissen konnte: Sein Einfall fiel glücklich zusammen mit der Erkenntnis eines Kulturpolitikers der Region, wonach dessen Wahlchancen besser stünden, hätte er irgendeine Initiative vorzuweisen. Da es nun weder in der nahen Kleinstadt noch in anderen, schon ferneren Orten ein Theater gab, hatte das
Theater im Ort
die Chance, ein kleines Kulturzentrum zu werden.
    Als wir ankamen, war es das schon. Der Kulturpolitiker hatte Geld aufgebracht. Es reichte für kein protziges, aber ein sehr funktionelles Gastspieltheater mit kleiner Galerie und mit Buffet. Der Prinzipal und die Prinzipalin hatten alles mit Freunden geplant, hatten sich Tag und Nacht am Bauen, Malen und Einrichten beteiligt. Das Ergebnis hatte seine Handschrift und ihren Charme. Die Lichtanlage war unaufwendig, aber hochprofessionell, die Brötchen für die hungernden Komödianten von der Prinzipalin handgestrichen.
    Eröffnet hatten die beiden – vorsichtig – mit einer anständigen Tourneeproduktion rund um einen echten Star, dann gab’s ein paar Boulevardgastspiele, dann aber sofort auch Kabarett, Experiment, Rock, Rezitation.
    Und was das erfreuliche war, besonders das Unkonventionellere wurde von der ausgehungerten Region angenommen. Publikum jeglichen Alters kam von überall her und füllte die Kassen. Das
Theater im Ort
blieb nicht nur im budgetierten Rahmen, es sparte ein und konnte investieren, obwohl sich Prinzipal
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