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PR2632-Die Nacht des Regenriesen

PR2632-Die Nacht des Regenriesen

Titel: PR2632-Die Nacht des Regenriesen
Autoren: Wim Vandemaan
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Prolog
    5. Oktober 1469 NGZ
     
    » Resident hat eben auch mit Sitzen zu tun, nicht wahr?«, sagte Henrike Ybarri. »Residieren: sitzen, verweilen, auf etwas beruhen.«
    Bull lehnte sich im Sessel zurück. Die Lehne ertastete durch seine Montur eine leichte Verspannung im Schulterbereich, schickte eine Wärmewelle dorthin. Gleich darauf glaubte Bull, den Druck von vier oder fünf Fingerkuppen zu spüren, die ihn sanft massierten. »Der Verweiler also.«
    »Ich dachte, du wüsstest das«, sagte die Erste Terranerin. »Das Wort stammt doch aus dem Lateinischen.«
    »Ja dann«, sagte Bull.
    »Hat man es seinerzeit nicht gesprochen?«
    »Du meinst: zu meiner Zeit? In jenen Tagen?«
    Ybarri lächelte. »Etwa nicht?«
    »Doch, doch«, sagte Bull. Er zwang sich zu einem Lächeln.
    Ihm wäre wohler zumute, wäre er es, der versuchte, Ybarri aufzuheitern. Die Erste Terranerin hatte ein Kind an die Anomalie verloren: Ihre Tochter Anicee war mit den Auguren mit unbekanntem Ziel über das Transitparkett gegangen. Verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
    »In jenen Tagen«, sagte Bull. »Damals, als wir noch mit dem Wanderstab auf den Mond spaziert sind, in Wolfsfelle gekleidet, hat sich alle Welt lateinisch unterhalten. Ist aber eine Weile her.«
    Ybarri nickte verständnisvoll. »Bleib also ruhig mal eine Viertelstunde sitzen. Es sei denn, du willst dich schon wieder über die exakten Produktionsziffern für die künstlichen Sonnen unterrichten gehen, über das nächste anstehende Experiment in Sachen Fimbul-Kruste ...«
    Bull winkte ab. »Nicht nötig. Ich bin eben noch kein Meister des Verweilens. Dieses Nichtstun ...«
    Er musste gähnen. Vielleicht hätte er sich doch mehr als drei Stunden Schlaf gönnen sollen.
    »Du tust nicht nichts«, widersprach Ybarri.
    Bull schüttelte den Kopf. »Ich weiß. Ich habe einfach dieses Gefühl: Ich gebe meine Anweisungen, höre Berichte – aber im Kern sitze ich nur. Und warte.«
    Ybarri hob die Augenbrauen. »Worauf denn?«
    »Das ist es ja«, sagte Bull. »Ich warte und weiß nicht, worauf.«
    Urs von Strattkowitz betrat den Raum. Bull winkte dem dürren Mann kurz zu. »Und?«
    »Nichts und «, sagte der Erste Staatssekretär im Residenz-Ministerium für Wissenschaft. »Nicht so früh am Morgen. Es ist 6.45 Uhr Terrania-Standard.« Er musterte Bull. »Wartest du auf etwas?«
    Ybarri lachte leise.
    »Nichts Neues also?«, fragte Bull.
    »Neues in welcher Hinsicht? Wo? In der Sonne?«, fragte von Strattkowitz zurück.
    Bull machte eine ungeduldige Geste. »Unter der Fimbul-Kruste. Beim Sonnen-Pulk. Ist doch egal. Von mir aus – irgendwo da draußen.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung. »Auf der Neptun-Bahn.«
    Später kamen Vashari Ollaron und Attilar Leccore in den Konferenzsaal. Eins-Eins. Der Raum im Toplevel der Solaren Residenz hatte sich im Verlauf der Krise als gemeinsames Tagungszentrum durchgesetzt. Der ovale Tisch aus Kirschbaumholz ragte wie aus einer anderen Zeit in die Gegenwart hinüber. Die Tischfläche füllte sich langsam mit Infofolien, Holoskizzen, mit Tassen und Bechern.
    Aus der Mitte des Tisches ragte eine Säule, deren oberes Segment ein menschliches Gesicht zeigte: das lächelnde Antlitz eines altehrwürdigen Terraners mit asiatischen Zügen.
    Das Gesicht war eine Holoprojektion; es war so eingerichtet, dass es jedem, der am Tisch saß, in die Augen zu blicken schien. Mit diesem Gesicht zeigte sich LAOTSE, die Biopositronik der Residenz.
    Es war 9.02 Uhr, als LAOTSE sich in das Gespräch mischte, das Ollaron eben mit Leccore führte.
    »Resident«, sagte die Biopositronik. »Deine Erwartung einer Neuigkeit aus der Neptun-Bahn?«
    »Ja?«
    »Sie hat sich bestätigt.«

Beisohn: der Greise Weg
     
    Er liebte es, an den Gestaden des Nachtozeans zu stehen. Kein anderes Areal hielt engere Beziehung zu ihrer Dynastie. Die Gestade waren seit Langem das, was einer Heimat am nächsten kam.
    Er war den Greisen Weg von der Brutstadt Chlonk aus gegangen, durch die Gasse der Gegenwartslosen, ungeachtet der Technosirenen und ihrer Verlockungen. Die hatten verheißen, ihm nie gekannte Koordinaten anzuvertrauen, Schattenspuren verloschener Sterne und Sternenstaaten, sie hatten ihn bestricken wollen mit dem Angebot, ihm die Lage der Regionen zu weisen, in denen der Fluss der Zeit in umgekehrter Richtung floss. »Wer des Greisen Wegs kommt, sollte es wollen wissen.«
    All das sollte ihm zur Verfügung stehen im Austausch gegen ein wenig kybergenetische Substanz: »Du
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