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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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aber nicht konzentrieren. Zu sehr beschäftigte ihn das bevorstehende psychologische Problem: die persönliche Strategie im Umgang mit den beiden Herren.
    Die ganze Branche wusste, der Direktor war das geistige Oberhaupt des Unternehmens, die intellektuelle Basis, der Altmeister nur sein – wenngleich hochbegabtes, virtuoses – Geschöpf. Der Altmeister wurde auch nie müde, in Interviews – kürzlich hatte es anlässlich einer runden Jahreszahl eine Fernsehsendung über das Theater der Herren gegeben – zu betonen, er sei auf sich allein gestellt, hilflos, er verdanke alles der Inspiration, der Führung, der Genialität seines Direktors.
    Ich muss dem Altmeister nicht nur
Inszenierer
sein, ich muss ihm, wenn sein Direktor in den Seilen hängt, auch die Autorität ersetzen, die Sicherheit geben, dachte sich der Regisseur, bevor er sich in das Studium der Sekundärliteratur über den Dichter vertiefte.
    Als der Regisseur sein Engagement antrat, empfing ihn im Büro der Kleinkunstbühne die vornehme Dame, die sich nicht mehr
einkriegte vor Glück
, weil alles so wunderbar geklappt hätte, und die bedauernd mitteilen musste, die
Herren
seien zur Zeit
in Sachen Arztbesuch
unterwegs, der Direktor hätte anschließend eine
rehabilitierende Anwendung
, der Altmeister würde – mit der Bitte um Nachsicht, nicht persönlich zum Empfang anwesend gewesen zu sein – den Regisseur im Café Sowieso treffen wollen.
    Bevor sich der Regisseur auf den Weg dorthin machte, ließ er die Einrichtung dieses Theaterbüros auf sich wirken. Es hatte mit ähnlichen Räumen nichts gemein, es war eine raffinierte Mischung aus modernen Zweckmöbeln und zum Teil rein dekorativem Jugendstil, extrem geschmackvoll, aber eben an der Grenze, grenzüberschreitend war allerdings der körperliche und sprachliche Stil der vornehmen Dame. Mit der Dame hat der Architekt übertrieben, dachte der Regisseur.
    Der Regisseur betrat das Café.
    Der Altmeister, ein feingliedriger, eleganter Herr, sprang von einem Ecktisch auf und kam ihm durch das halbe Lokal entgegen.
    »Ich bin so froh, dass Sie Zeit haben, für
ihn
ist das eine
derartige
Beruhigung.
Er
hat sofort gesagt, als wir das Furchtbare erfahren haben, Sie seien der Einzige, der in Frage käme. Und ich habe
ihm
sofort recht geben müssen.
Er
hat ja einen untrüglichen Blick für Könner. Das wissen Sie ja.«
    Beim letzten Satz sah der Altmeister den Regisseur forschend an. Sein Gesicht entspannte sich erst, als der Regisseur das bestätigte und ehrlichen Herzens schon häufig gemachte Komplimente wiederholte. Währenddessen taxierte er den Altmeister.
    Er ist nicht jünger geworden, stellte er fest, aber wenn man weiß, wie sich diese etwas scheue Sensibilität auf der Bühne in auftrumpfendes Könnertum verwandelt, dann ist der Mann nach wie vor faszinierend.
    »Haben
Sie
die Zwischentexte redigiert?«, fragte der Regisseur. »Weil, ich lese da einige Autorennamen, aber die Texte sind aus einem Guss.«
    »Wo denken Sie hin?«, erwiderte leicht theatralisch der Altmeister. »Das macht doch
er
, ich kümmere mich doch nicht um Texte, ich spiele, was
er
mir hinlegt.«
    Der Altmeister sprach vom Direktor nur per
er
, auch – wie der Regisseur noch erfahren sollte im direkten Dialog.
    Nachdem der Altmeister über den besorgniserregenden Zustand des Direktors referiert und mit Dankbarkeit entgegengenommen hatte, dass der Regisseur von Fällen zu erzählen wusste, wo konsequente Ruhe und Pause geradezu Wunder gewirkt hätten, kam man zum Künstlerischen.
    »Sie müssen mir einen großen Gefallen tun«, sagte der Altmeister. »Sie müssen, bevor wir mit der Arbeit beginnen, noch einmal lange mit
ihm
reden.
Er
hat nämlich ein so hervorragendes Konzept für den Abend, das kommt natürlich auch daher, dass
er
diese Art von Literatur kennt wie kein zweiter.
Er
hat mich ja schon vor Jahren auf die Idee gebracht, mich damit zu befassen, aber damals habe ich
ihm
noch nicht geglaubt. Ich hätte wissen müssen, dass
er
recht hat mit der Annahme, unser Dichter würde in unseren Tagen wieder ganz aktuell werden.
Er
hat in den literarischen Trends ein untrügliches Gespür …«
    Im Wesentlichen ging das Gespräch so weiter.
    Auch dieses Lokal hätte
er
vor Jahren entdeckt, weil es
ihn
in der gewissen Unpersönlichkeit und Kühle beim Arbeiten und Denken nicht störte, und den Kaffee tränke
er
am liebsten aus einer dünnwandigen Teeschale.
Er
hätte Jahre gebraucht, um das dem Personal beizubringen.
    Der Regisseur
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